Es überrascht nicht, dass Claudio Monteverdis "Il ritorno d’Ulisse in patria", auf Deutsch: "Die Rückkehr des Odysseus in die Heimat", unmittelbar nach der Uraufführung kaum Folgevorstellungen erlebt hat und auch heute, in an sich opernausgrabungsfreudigen Zeiten, eine Rarität geblieben ist. Es gibt Gründe, diesen "Ulisse" (1640) nicht mit Monteverdis "Orfeo" und seiner kühnen, amoralischen "L’incoronazione di Poppea" auf eine Stufe zu stellen. Das Grundproblem: Eine Überfülle an rezitativischen Gesängen, die weder zu Herzen noch ins Ohr gehen und mit einer auffälligen Handlungsarmut kontrastieren.

Das meiste geschieht innerhalb weniger Minuten nach der Pause. Wer schafft es, den Bogen des verschollenen Ulisse im Wettbewerb um dessen Frau Penelope zu spannen? Mythenkenner wissen: Das gelingt nur dem Heimkehrer selbst, der sich tückischerweise als Greis verkleidet hat. Er blamiert auf diese Art nicht nur die Freier rundum, er tötet sie dabei praktischerweise auch gleich. Eine starke Szene. Nur leider: Die Oper endet erst eine Stunde später.

Ein hölzernes Bühnenbild

Die Wiener Staatsoper beendet ihren Monteverdi-Zyklus nun mit diesem "Ulisse", versteht der Längen des Werks aber bedauerlicherweise nicht Herr zu werden. Im Gegenteil: Die Regie von Jossi Wieler und Sergio Morabito entfesselt eine Fadesse, wie man sie in den vergangenen 400 Jahren wohl noch selten erlebt hat.

Die Bühne von Anna Viebrock ist rätselhaft vollgerümpelt: Sesseln, Tische, Schachteln, Kisten, ein Webstuhl (?) und eine Art Hochstand stehen in der Gegend herum; eine unsichtbare Hand kritzelt italienische Worte an die Rückwand, die Litanei hat irgendetwas mit dem Trojanischen Krieg zu tun. Ab und zu springt die Drehbühne an und lässt die Holzobjekte wie Running Sushi rotieren; dabei werden hier und da noch weitere Requisiten in den seltsamen Möbelkreislauf eingespeist. Vier Sessel zum Beispiel: Sie sehen so aus, als würden sie aus der Ersten Klasse der Deutschen Bahn stammen. Darauf sitzen die griechischen Götter.

Warum fahren die Unsterblichen ausgerechnet Zug? (Weil nur sie die Verspätungen der Deutschen Bahn überleben?) Und warum sind ihre Gesichter blau? Um das herauszufinden, könnte man das Regie-Interview im Programmheft suchen. Man kann das aber auch lassen, wenn man der Meinung ist: Oper sollte sich während der Aufführung erschließen, nicht über einen Beipackzettel.

Weiteres Problem: Der Abend leidet unter Bewegungsarmut. Gut: Wir begegnen hier unter anderem einem Haufen Wissenschafter, die griechische Artefakte abstauben (wieso?); wir lernen Ulisse kennen, wie er am erwähnten Hochstand erwacht (weshalb?), und treffen einen Neptun, der in einem dunklen Matrix-Mantel steckt (warum?) und über die Menschheit schimpft. Es blitzt also schon auch ab und zu Drive auf an diesem abstrusen Abend. Nur versandet er auch oft rasch, und dann herrscht wieder Stillstand auf der Bastlerhit-Bühne.

Kurz: Es ging dieser Regie wohl eher nicht darum, ein schlüssiges, flüssiges Schauspiel entlang der Opernhandlung zu gestalten.

Das ist umso bedauerlicher, als hier an sich Energiebündel auf der Bühne stehen. Zuvorderst Georg Nigl als Ulisse: ein Überlebenskünstler mit stechendem Blick und gemeißelter Diktion, der mit jedem Atemzug Witz, Kraft und Kampfeswillen vermittelt und mit seiner herben Tongebung dramatischen Ausdruck über Schönklang stellt. Kate Lindsey ist ihm da nicht ganz unähnlich: Diese Penelope kleidet ihren Schmerz bisweilen in herbe Schleifer, transportiert mit ihren Legatobögen aber auch oft Sinnlichkeit. Sonst? Josh Lovell versprüht als Telemaco jugendfrische Energie und einen drahtigen Tenorklang, Isabel Signoret findet für Minerva, eine der zwei Frauen in der göttlichen Blue-Man-Group, resche Töne, und - beachtlich! - Katleho Mokhoabane adelt drei Mini-Rollen mit einem edlen Kingsize-Klang. Und Pablo Heras-Casado im Graben? Hat den Concentus Musicus mit einer solchen Bandbreite an Instrumenten besetzt, dass er das Klanggeschehen bunt kolorieren kann (nicht zuletzt dank einer Orgel) und kostet die wenigen tänzerischen Momente der Musik aus. Den Abend rettet das dennoch nicht: Nach dem Schlussvorhang pauschaler Beifall für die Musiker, doch einige Buhs für die Regie. Buhs, die selbst ziemlich ermattet tönten.