Der Professor hängt durch. Auf seinen Enzyklopädien, die da am Boden gestapelt sind. Dabei hat der Professor seine große Schmach noch vor sich. Das weiß er aber noch nicht. Das Publikum schon. Denn schon in der ersten Szene ist das Ensemble durch einen üppig-bauschigen Vorhang gekrochen und hat unter fiesem Pfeifen sich selbst ausgebuht. Weil - na gut, so weit sind wir noch nicht.
Erstmal hängt Professor Gollwitz aber nur durch, weil so ein Gymnasialpädagogen-Leben halt doch recht öde bürgerlich ist. Wenn er nicht seine Haushälterin Rosa hätte, wäre in dem Professor überhaupt kein Funken Motivation mehr. Da trifft es sich gut, dass durch eine lustige Saloontür (Bühne: Henrike Engel) der fahrende Theaterdirektor Emanuel Striese ins Zimmer respektive auf die Bühne stolpert. Der braucht nämlich ein Stück. Das letzte hat er einem Straßenbahner abgeluchst, da erwartet er sich vom Professor schon ein bisschen mehr. Denn der hat tatsächlich ein Theaterstück in einer Lade liegen. Eine Römertragödie, die ist so traurig, dass Haushälterin Rosa immer schon weinen muss, wenn sie nur den Umschlag sieht. Als es aus der Lade herausgeholt wird, blinken Lichter und ertönt Zaubermusik - ein ironisch-erhebender Auftakt für das wilde Chaos, das nun folgen wird.
"Nöwe, Nöwe"
"Der Raub der Sabinerinnen" von den Brüdern Franz und Paul von Schönthan ist ein Schwank aus dem Jahr 1883. Da könnte man angestaubten Boulevard erwarten, aber Regisseurin Anita Vulesica hat mit der Fassung, die sie mit Svenja Viola Bungarten erarbeitet hat, einen veritablen Triumph auf die Bühne des Akademietheaters gehievt. Geschlechterstereotypen werden hier durch Geschlechtertausch aufgebrochen. Birgit Minichmayr ist ein famoser Theaterdirektor Striese, mit Schnurrbart, Wampe und bayrischem Dialekt. Man könnte ihr noch Stunden lang weiter zuschauen, wie sie mit der Nebelmaschine wachelt und dabei "Nöwe, Nöwe" ruft, dem Professor versichert, sein Stück wäre "der Käse auf meiner Krainer", ihre Meriten vom Erfolgsstück "Der Kaiserin ihre Töchter" (englisch: "The Empress her daughters") aufzählt oder erklärt, dass eine wichtige Rolle aus Schauspielerinnenmangel ruhig von einem Brief ersetzt werden kann. Der da halt im Wald herumliegt.
Ähnlich Dorothee Hartinger: Es ist das reine Vergnügen, wie sie aus Rosa eine wahnwitzige Ulkfigur macht, die trotz allen Absurditäten am ehesten den Überblick über das irre Geschehen behält. Sabine Haupt spielt den Professor mit Anleihen bei den großen Filmkomödianten Charlie Chaplin und Buster Keaton, Kniebeugen helfen, wenn es ihr/ihm wieder einmal zu viel Theater wird. Denn Sein und Schein vermischen sich auch in seinem sonst reglementierten Privatleben: Seine Frau (mondän und mit Tendenz zur Halluzination: Dietmar König) darf schließlich nicht wissen, dass sein Stück zur Aufführung kommt.
Von seinen Töchtern (beide gespielt von Stefanie Dvorak, einmal mit betonter Outrage, einmal naseweis im Katzenpulli) weiß es schon eine, der anderen ist es egal, die erfindet sich nämlich ihr eigenes Drama, in dem ihr Mann (Lukas Vogelsang, leidgeprüft) endlich mal verwegen ist. In ihrer selbstgebastelten Schmierendramödie spielen Rainer Galke als laszive Weinhändlerin mit rechtschaffen dramatischem Hut und Emil Groß als sein verlorener, ausgerechnet Schauspieler gewordener Sohn eine Rolle. Man kann auch gar nicht sagen, hätte sie das mal besser den Profis überlassen, denn bei denen geht ja auch alles schief. Da hilft nicht mal mehr der Papagei (Annemarie Fischer), der eine Souffleuse ist, die sich aber dauernd den Mund verbieten lassen muss.
Ohne Leerlauf tobt die Inszenierung von Gag zu Gag, von Anspielung zu Anspielung, von Nonsens zu Nonsens. Sie greift Genderthemen und Regiemoden geschickt spielerisch auf und verliert daneben nie ihren roten Faden, der einfach nur die Liebe zu dem Irrsinn namens Theater ist. Nach 100 Minuten ist dieser Ausnahmeabend leider schon vorbei. Der Papagei macht das Licht aus.