Es geht aufwärts mit der Wiener Volksoper: Nach einem schleppenden Saisonstart freut sich das zartrosa bepinselte Haus über steigende Auslastungszahlen. Nun stellt Direktorin Lotte de Beer das Programm ihrer zweiten Saison vor. Im Interview verteidigt die Niederländerin ein weiteres Mal Musikdirektor Omer Meir Wellber gegen Kritik.
"Wiener Zeitung": Sie feiern in der nächsten Saison 125 Jahre Volksoper. Das Haus, das am 14. Dezember 1898 eröffnet wurde, war in seinen ersten Jahren aber noch kein Musiktheater...
Lotte de Beer: Das Kaiserjubiläum-Stadttheater - so hieß es anfangs - wurde als Schauspielhaus eröffnet. Wir wollen in unserer Jubiläumssaison ganz allgemein die lange Geschichte des Hauses feiern.
Sie setzen einige Stücke neu an, die an der Volksoper Tradition haben, wie etwa die "Salome". Gezeigt wird jedoch keine Neuproduktion der Strauss-Oper, sondern eine Regiearbeit des verstorbenen Luc Bondy aus Salzburg. Warum?
Die "Salome" hat eine spannende Beziehung zum Haus: Das Stück war Anfang des 20. Jahrhunderts für die Hofoper zu gewagt, darum hatte es bei uns sein Wien-Debüt. Das ist ein schönes Beispiel dafür, was man als "kleine Schwester" eines großen Hauses machen kann. Warum wir die Regie von Luc Bondy zeigen? Unser Musikdirektor Omer Meir Wellber hatte eine künstlerische Beziehung zu ihm, und unser großer Sponsor Martin Schlaff schätzt ihn sehr. Schlaff hat uns angeboten, der Volksoper die Produktion zu finanzieren, als Geschenk zum 125. Geburtstag. Dadurch haben wir in der nächsten Saison eine Premiere mehr als eigentlich geplant.
Marcel Prawy hat die "West Side Story" einst nach Wien geholt, Sie werden eine Neuproduktion des Musicals inszenieren. Der Verlag dahinter gilt als schwieriger Verhandlungspartner und als pingelig bei Inszenierungsfragen.
Es war nicht leicht, die Rechte zu erhalten. Aber ich hatte in New York einen Bekannten, der die Dinge ins Rollen brachte, und dann gute Gespräche. Die Rechteinhaber kennen das Werk in- und auswendig. Man braucht gute Gründe, wenn man etwas anders als gewohnt inszenieren will. Aber dann lassen sie sich überzeugen.
Ein weiterer Klassiker am Haus ist "Die lustige Witwe"; die Pariserin Mariame Clément verantwortet die neue Regie. Eine Gratwanderung an der Volksoper: Man will wohl keine konservativen Zuseher verschrecken, aber doch Innovationsgeist beweisen.
Ich will die interessantesten Künstlerinnen und Künstler von heute für die Operette verpflichten, und dazu rechne ich Mariame Clément. Ich musste sie allerdings erst überreden. "Was, die Lustige Witwe in Wien?", fragte sie. Ich sagte ihr: "Man muss es miteinbeziehen, dass hier viele Leute eine nostalgische Beziehung zu dem Stück haben. Benutz das, spiel damit!"
Sie zeigen unter dem Titel "Lass uns die Welt vergessen - Volksoper 1938" eine Uraufführung zum Thema NS-Opfer. Der Abend soll zugleich Operettenunterhaltung liefern. Kann das klappen?
Genau diese Kontraste sind interessant. 1938 wurde am Währinger Gürtel "Gruß und Kuss aus der Wachau" gespielt, eine federleichte Operette mit vielen jüdischen Künstlern im Team. In unserem Stück marschieren die Nazis während der Proben ein, die Uraufführung platzt. Theu Boermans hat auf dieser historischen Basis ein Textbuch geschrieben und führt Regie; musikalisch stützen wir uns auf den Klavierauszug von "Gruß und Kuss". Die israelische Dirigentin Keren Kagalitsky hat ihn neu orchestriert und den Abend um jüdische, um sogenannte "entartete" und Musik aus ihrer eigenen Feder angereichert. Ich denke, es ist ein wichtiges Werk.
Sie widmen sich außerdem der Rarität eines Opernstars . . .
Ja, "La rondine" ist gewissermaßen die Operette aus der Feder Giacomo Puccinis. Die Musik ist wunderbar, das Libretto aber eigentlich schrecklich. Es wirft einen typisch männlichen Blick des 19. Jahrhunderts darauf, was eine Frau ist. Als Regisseurin reagiere ich darauf und lasse eine der Figuren damit auf Konfrontation gehen.
An der Volksoper kamen früher immer wieder Produktionen heraus, die stark auf Frauenbeine und Schenkelklopfer setzten. In Ihrer Intendanz gibt es keine Premieren dieses Schlags mehr.
Wir sind ein diverserer Club geworden, mit jüngeren Leuten, auch stärkerer weiblicher Beteiligung und Menschen aus anderen Kulturen. Die Grenzen dessen, was gesellschaftlich akzeptiert wird, verschieben sich. Man kann an einem Haus aber vieles verändern, ohne dogmatisch zu agieren. Wenn eine heterogene Menschengruppe ein Stück erarbeitet und zeigt, was sie witzig findet, ändert sich etwas auf ganz natürliche Weise.
Wie steht es mit der Auslastung?
Im März und April liegen wir bei einer Sitzplatzauslastung von 84 Prozent. Seit September gerechnet liegt sie bei 79 Prozent, das hängt damit zusammen, dass wir zu Saisonbeginn noch mit Corona zu tun hatten. Schön ist auch: Mehr als 22 Prozent des Publikums sind unter 30 Jahre alt.
Wie geht es dem Haus mit den Energiekosten und der Inflation?
Wir haben jetzt eine Photovoltaik-Anlage am Dach, auf die wir lang warten mussten - alle wollten eine haben. Sie wird ab Mai im Vollbetrieb sein und rund 20 Prozent unseres Energiebedarfs decken. Und die Bühnenbeleuchtung stellen wir auf LED um.
Kommen Sie mit dem Geld aus?
Ich weiß nicht, wie ich das beantworten soll. Einerseits muss ich sagen: Wir sind dankbar für das Geld. Andererseits muss man künstlerische Träume träumen, die am Rande dessen liegen, was sich unter den gegebenen Umständen machen lässt.
Eine Erhöhung der Kartenpreise steht bei Ihnen bevor, wie an der Staatsoper.
Ja. Aber nachdem es lange Zeit keine Anhebung gegeben hat. Und die Preise für Abonnements bleiben unverändert. Wer rechtzeitig bucht, kommt bei uns noch immer sehr kostengünstig in die Oper.
Im März erschien ein anonymer Protestbrief, nachdem bekannt geworden war, dass Ihr Musikdirektor ab 2025 parallel zu Wien in Hamburg arbeiten wird: Omer Meir Wellber vernachlässige die Volksoper. Das entrüstete Schreiben stammte angeblich von Künstlern Ihres Hauses. Haben Sie den oder die Autoren inzwischen kennenlernen können oder gab es anderweitigen Austausch mit Kritikern?
Nein. Ich weiß bis heute nicht, von wem der Brief stammt. Dafür freut es mich sehr, dass das Orchester mit einem öffentlichen Statement Omer Meir Wellber den Rücken gestärkt hat, und das aus eigenem Antrieb. Es stimmt zwar, dass Omer in seinem ersten Jahr wenig Zeit für die Volksoper hatte. Das lag aber daran, dass wir ihn spät als Musikdirektor angefragt hatten. Ab dem nächsten Jahr wird er viel mehr da sein, er hat sich hier auch eine Wohnung gekauft.
Aber fressen seine zwei Jobs in Hamburg - Generalmusikdirektor und Orchesterintendant - nicht Zeit, die eigentlich für Wien gedacht war?
Nein. Seine Termine sind mit Hamburg abgestimmt worden. Ich kenne übrigens keinen GMD, der nur in einer Stadt einen Job hat. Dass Omer in seiner ersten Wiener Saison so wenig hier war, lag vor allem an seinen bereits seit langem geplanten Engagements als Gastdirigent.
Hat er Sie für seine Arbeit in Hamburg um Ihr Placet gebeten?
Natürlich.
Bogdan Ročić hat eine Vertragsverlängerung an der Staatsoper erhalten. Streben Sie auch eine an? Es geht das hartnäckige Gerücht, Sie hätten Ambitionen auf die Intendanz in Amsterdam.
Ich gehe definitiv nicht nach Amsterdam, das war, seit ich Wien angenommen habe, nie ein Thema. Ich hoffe sehr, dass ich meinen Vertrag an der Volksoper verlängern kann- in zehn Jahren lässt sich viel mehr bewegen als in fünf.