Wer Herman Melvilles "Moby Dick" fürs Theater inszeniert, steht vor einem im wahrsten Sinn des Wortes schwergewichtigen Problem: Wie bringt man eine Geschichte über einen Wal auf die Bühne, wenn man keinen Wal zeigen kann? Insbesondere Michael Schachermaiers aktuelle Inszenierung für das Theater der Jugend macht allerdings deutlich: Es geht eigentlich in erster Linie gar nicht so sehr um den weißen Wal, von dem Kapitän Ahab so besessen ist, dass ihn sein Hass ins Verderben führt, sondern es geht darum, wie ein halbes Dutzend Männer darauf wartet, auf den weißen Wal zu treffen. Und darum, was sich zwischen diesen sechs Männern abspielt.
Und damit steht, wer das Stück für Kinder beziehungsweise Jugendliche inszeniert, vor dem nächsten Problem: Melvilles Romanvorlage ist per se schon zäh wie das Fleisch von der Flukenspitze, das Ahab nach jeder erfolgreichen Waljagd serviert wird, und so bitter wie Lebertran. Also im Grunde sehr schwere Kost. Regisseur Schachermaier, Dramaturg Sebastian von Lagiewski und ihr Ensemble verdienen deshalb besondere Hochachtung für das, was sie aus der Geschichte herausholen. In einer sehr naturalistischen und düsteren Darstellung in einer liebevoll gestalteten, detailreichen Schiffskulisse (Ausstattung: Regina Rösing) machen sie das raue und brutale Leben der Walfänger auf hoher See höchst anschaulich.

Zartes Seelchen auf rauer See
Zwischen dem rachsüchtigen Despoten Ahab (Mathias Kopetzki), der Gott spielt an Bord seines Schiffes, und dem furchterregenden und doch sanften Riesen Quiqueg (Wolfgang Seidenberg) findet sich das zarte Seelchen Ismael (Jonas Graber) zwischen einer Mannschaft (Frank Engelhardt, Uwe Achilles, Lukas David Schmidt) wieder, die mit der Landratte nicht eben zimperlich umgeht.
Mary Broadcast sorgt im Hintergrund für den passenden Soundtrack, wenn der Sturmwind die Segel zerzaust, die Gischt über die Reling peitscht und der Mast bricht - und wenn die Besatzung aufbegehrt gegen ihren Kapitän, der seine persönliche Rache über alles andere stellt und sie alle mit in den Untergang reißt. Ja, auch im Theater der Jugend geht "Moby Dick" nicht gut aus für Ahab, und am Ende gewinnt der Wal. Das mag im Jahr 2023, wo wir uns um die Bestände der Meeressäuger große Sorgen machen müssen, manche sogar freuen. Trotzdem leidet man mit Ismael und der untergehenden Mannschaft der "Pequod" mit.