Der Interview-Band "Status Quote", herausgegeben von Sabine Leucht, Petra Paterno und Katrin Ullmann, stellt alle Regisseurinnen vor, die seit Einführung der Frauenquote 2019 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden. Erstmals äußern sich Theaterfrauen wie Barbara Frey offen zu unfairen Arbeitsbedingungen, mangelndem Respekt, Sexismus und Gender-Pay-Gap.

Seit 1995 sind Sie als freie Regisseurin tätig und trafen auf ein männlich dominiertes Arbeitsfeld.

Barbara Frey: Kein Mensch hat das hinterfragt oder einmal gesagt: "Jetzt reicht’s!" Was ich schon damals ärgerlich fand: Bei den Endproben kam immer eine Männerriege auf einen zu, wir bezeichneten das scherzhaft als "die männliche Geniezentrale". Intendant, Chefdramaturg etc. bildeten regelrecht eine Front. Wenn jemand wirklich etwas zu sagen hatte, war das ja in Ordnung, aber oft war das reines Imponiergehabe, der Wille, einem die Welt und das Theater zu erklären: "Mädels, das müsst ihr jetzt so und so machen." Danach brauchte man erst mal ein Bier.

Hat sich das verändert?

Wenn ich auf die vergangenen 35 Jahre zurückblicke, denke ich oft: Wahnsinn, was sich bereits alles verändert hat! Das hat auch damit zu tun, dass Frauen vermehrt am Zug sind, als Regisseurinnen wie Intendantinnen; aber auch viele junge Männer ziehen nicht mehr mit. Was mich ärgert: Alle reden immerzu von Strukturen am Theater, als handle es sich um unverrückbare Naturgewalten. Von wegen! Strukturen sind von Menschenhand gemacht und lassen sich auch von Menschen wieder verändern. Systeme mögen über enorme Beharrungskräfte verfügen, aber wenn man sich zusammentut, kann man dagegen vorgehen. Es mag langsam, sehr langsam sein, aber es geht.

Von 2009 bis 2019 leiteten Sie das Schauspielhaus Zürich. Standen Sie unter dem Druck, es als erste Frau in dieser Funktion besonders gut machen zu müssen?

Jede Frau meines Jahrgangs kennt dieses Damoklesschwert, dass man besser sein muss als männliche Kollegen. Frauen werden leichtfertiger und auch schärfer kritisiert als Männer, und Kritik bleibt länger an ihnen haften, weil schnell Ressentiments mitschwingen: Sie kann es halt nicht, sie ist eine Frau. Das passiert ja oft unbewusst! Ich bin unbeschadet daraus hervorgegangen, habe die Freude am Beruf nicht verloren. Obwohl ich noch erlebt habe, dass Frauen um ganz grundsätzliche Dinge kämpfen mussten, die heute glücklicherweise selbstverständlich sind.

Bitte ein Beispiel!

Respekt. Ohne Respekt geht gar nichts. Dass das Wort einer Frau Gewicht hat, dass ihr zugehört wird. Aber es liegt auch an uns Frauen, untereinander Allianzen zu schmieden, miteinander solidarisch zu sein - all das, was Männer seit Jahrhunderten praktizieren. Das kommt gerade in Gang, da bin ich zuversichtlich.

Haben Frauen einen anderen Blick auf die Dramenliteratur?

Frauen haben ein anderes Verhältnis zur Welt und deshalb haben sie einen gänzlich anderen Blick auf die Künste. Trotzdem habe ich Schwierigkeiten mit dem Begriff "weibliche Ästhetik".

Warum?

Es reduziert den weiblichen Blick auf das Andere, das sich neben dem tonangebenden männlichen Blick zu behaupten hat. Das muss aufhören. Ein Beispiel: Wer in den 1980er Jahren ein Buch von Virginia Woolf kaufen wollte, wurde in der Buchhandlung auf die Abteilung Frauenliteratur verwiesen - "hinten in der Ecke links". Da stand Woolf neben Büchern über Menstruation. Mittlerweile wird die Autorin, ihrer Bedeutung entsprechend, in den Buchhandlungen unter "Weltliteratur" geführt. Darum geht es: Um Anerkennung künstlerischer Leistung jenseits von Geschlecht. Der weibliche Blick markiert keine Außenseiterposition, sondern die Hälfte der Menschheit.

Was muss sich verändern?

Der Gender Pay Gap ist unsäglich. Auch ich wurde über den Tisch gezogen, jahrelang. Ich habe das erst bemerkt, als ich mit Kollegen über Gagen gesprochen habe. Das muss aufhören. In Zürich haben mein Verwaltungsdirektor und ich gezielt nach Ungleichheiten gefahndet und für ein transparentes Gehaltsschema gesorgt. Das gibt es an vielen Häusern noch immer nicht. Wie könnte der Arbeitsplatz familienfreundlicher gestaltet werden? Es ist indiskutabel, dass Frauen, wenn sie einmal früher von der Probe gehen müssen, weil etwas mit den Kindern los ist, sich wie Bittsteller vorkommen. Das muss selbstverständlich sein, auch dass Männer mit anpacken. Da haben wir noch viel vor uns. Ich habe keine eigenen Kinder, daher hat sich die Frage der Vereinbarkeit für mich nicht gestellt, bei meinem Arbeitspensum hätte ich gar keine Kinder haben können.

Wird Frauen am Theater dasselbe zugetraut wie Männern? Oder gibt es unausgesprochene Unterschiede, etwa dass die Tragödie von Männerhand und das Familienstück von Frauen inszeniert wird?

Wer bestimmt, was man Frauen zutraut? Da könnte ich an die Decke gehen. Frauen können alles, wenn man sie lässt. Meiner Erfahrung nach funktionieren gemischtgeschlechtliche Teams am besten, auf die Zusammensetzung kommt es an. Das bedeutet aber auch, dass diejenigen, die jetzt noch zu viele Positionen besetzen, etwas abgeben müssen. Das geht nicht reibungsfrei und solche Verteilungskämpfe erleben wir gerade - nicht nur am Theater.

Wie stehen Sie zur Quote?

Ich mag die Quote nicht sonderlich, weil einen das wiederum auf das Geschlecht reduziert. Andererseits tut sich nichts, solange man die Quote nicht einführt. Das finde ich schade, aber als Übergangslösung ist die Quote nötig. Erlauben Sie mir einen schrägen Vergleich?

Nur zu.

In der Tierforschung gibt es namhafte Forscherinnen, die andere Prämissen aufstellen als Männer und deswegen zu anderen Ergebnissen kommen. Das führt dazu, dass sich unser Verständnis der Tierwelt gerade grundlegend ändert. Oder Winzerinnen: Anfangs hieß es: "Die Frauen haben doch keine Ahnung von Wein." Mittlerweile sind Winzerinnen federführend, neue Entwicklungen in der Weinbranche sind ohne die Frauen gar nicht mehr denkbar. Es gibt viele Disziplinen, in denen Zusammenarbeit auf Augenhöhe bereits Realität ist - und alle profitieren davon. Dahin müssen wir auch mit den Künsten, mit dem Theater gelangen. Wenn wir das erreicht haben, ja dann müssen wir nicht mehr über die Quote sprechen.

2004 wurden Sie erstmals zum Theatertreffen eingeladen mit Tschechows "Onkel Wanja". Sie waren damals die einzige Frau unter den zehn bemerkenswerten Inszenierungen, wurde das thematisiert?

Überhaupt nicht. Ich habe mich einfach nur gefreut.

2021, im Jahr zwei der Frauenquote beim Theatertreffen, wurde Ihre Akademietheater-Inszenierung "Automatenbüfett" nach Berlin eingeladen. Kam Ihnen der Gedanke, dass die Einladung womöglich der Quote zu verdanken sein könnte?

Keineswegs. Ich war zu der Zeit mit den Gedanken aus privaten Gründen ganz woanders, meine Eltern sind knapp davor gestorben. Aber ob das, was ich mache, ein Erfolg wird oder nicht, darüber denke ich schon lange nicht mehr nach. Natürlich freut es einen, wenn Vorstellungen ausverkauft sind, man gut besprochen wird, aber definiert sich Erfolg wirklich nur über Außenwirkung und Applaus?

Was denken Sie?

Theaterarbeit ist Gemeinschaftsarbeit, ich alleine vermag gar nichts. Erfolg hat für mich viel mit gelungenem Austausch zu tun, dass einem die Neugier nicht abhandenkommt, dass man dran bleibt, nicht aufgibt, selbst wenn man mitunter herbe Enttäuschungen einstecken muss.

Barbara Frey, geboren 1963 in Basel, genießt als Intendantin wie als Regisseurin Anerkennung, seit 2006 arbeitet sie regelmäßig am Burgtheater, sie leitete das Zürcher Schauspielhaus und ist derzeit Intendantin der Ruhrtriennale. - © Luise Jakobi
Barbara Frey, geboren 1963 in Basel, genießt als Intendantin wie als Regisseurin Anerkennung, seit 2006 arbeitet sie regelmäßig am Burgtheater, sie leitete das Zürcher Schauspielhaus und ist derzeit Intendantin der Ruhrtriennale. - © Luise Jakobi