Grande Finale: Mit einem Theatermarathon, bestehend aus vier Elfriede-Jelinek-Inszenierungen, beendet das Intendantenduo Ali M. Abdullah und Harald Posch seine Ägide im Meidlinger Werk X. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erinnern sich die beiden Regisseure an die Aufbauarbeit und äußern sich kritisch zur Kulturpolitik.
"Wiener Zeitung": Von der Garage X am Petersplatz zum Werk X in Meidling - wie gestaltete sich der Sprung vom Kellertheater zur Mittelbühne?
Ali M. Abdullah: Es war ein schrittweises Wachstum. Begonnen hat alles mit Drama X, unter diesem Label haben wir uns als freie Gruppe mit zeitgenössischer Dramatik in großformatigen Aufführungsserien beschäftigt, damals ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal. 2009 ergab sich die Möglichkeit, das Erbe von Dieter Haspel und Christine Bauer im ehemaligen Ensembletheater anzutreten - das war die Geburtsstunde von Garage X.
Harald Posch: Wir wurden schnell zu einer festen Institution und sind am Petersplatz bald aus allen Nähten geplatzt.
2014 eröffneten Sie das Werk X inmitten des Meidlinger Wohnareals Kabelwerk. Wie entwickelte sich der Publikumszuspruch?
Abdullah: Wir haben es uns leichter vorgestellt. Am Petersplatz hatten wir zuletzt fast 20.000 Zuschauer, aber an so einem zentral gelegenen Ort ist ein Theaterbesuch unkomplizierter als in der Vorstadt, es gibt Laufkundschaft, die Leute gehen nachher noch etwas trinken. In Meidling funktioniert das anders. Es muss schon einen exorbitant guten Grund geben, damit der bequeme Wiener in die U6 einsteigt und in der Tscherttegasse wieder aussteigt.
Posch: Das Kabelwerk war zuvor ein soziokulturell-niederschwelliges Projekt und als Theaterort wenig etabliert. Wir haben hier wirklich Aufbauarbeit geleistet. Jeder Zentimeter ist von uns geprägt. Das Büro, in dem wir gerade sitzen, war früher ein Lagerraum, auch die Bar haben wir selbst etabliert, es gab in der Nähe für Theaterbesucher keinerlei Gastronomie.
Abdullah: Das hat die Sache nicht einfacher gemacht. In anderen Städten sind dezentrale Kulturhäuser viel breiter aufgestellt und von Gastronomie flankiert - siehe: Kampnagel in Hamburg. Auf diesen Umstand haben wir von Anfang an hingewiesen, aber wir haben von der Stadt Wien nie ein Extra-Budget bekommen.
Posch: Und dann noch der dunkle Nachhauseweg! Ein absoluter Mythos. Die Siedlung ist in der Architekturszene auch dafür bekannt, dass sie dahingehend sorgfältig geplant wurde. In den vergangenen zehn Jahren ist, soweit wir wissen, niemandem etwas zugestoßen.
Der Turnaround gelang 2015 mit der Fortschreibung der "Proletenpassion 2015ff". Christine Eder und die Musikerin Gustav haben die 1970er Jahre Revue neu adaptiert, die Aufführung wurde auch mit dem Nestroy ausgezeichnet.
Abdullah: Das war eine großartige Aufführung, die viel Aufmerksamkeit generierte, wir haben die "Proletenpassion 2015ff" an die 50 Mal vor vollem Haus gespielt und sind damit durch ganz Österreich getourt. Ab dann ging es richtig los. Wir konnten das Publikumsinteresse halten, waren oft ausverkauft. Dann kam der Einbruch durch die Corona-bedingten Schließungen - und jetzt sind wir wieder dabei, das Publikum zurückzuerobern.
Posch: Wir wollten überregional Strahlkraft erlangen und haben mit spannenden Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet: Herbert Fritschs erste Wien-Inszenierung war schon in der Garage X, auch der künftige Burgtheater-Intendant Stefan Bachmann oder Milo Rau, der nächste Festwochen-Intendant, haben uns zur Eröffnung in Meidling unterstützt. Ästhetisch ging es uns um gleichermaßen literaturbasiertes wie popkulturelles Theater, das war in Wien so nicht üblich.
Ab der Saison 2023/2024 wird Esther Holland-Merten, die zuvor das Performance-Programm im WUK leitete, Ihre Nachfolge antreten. Die Neubesetzung verlief nicht friktionsfrei. Was ist schiefgegangen?
Posch: Ende 2021 war die Ausschreibung und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler sagte ausdrücklich zu uns: "Bewerbt euch wieder, macht euch keine Sorgen." Also haben wir uns beworben - und wurden per E-Mail darüber informiert, dass sich die Stadt Wien gegen uns entschieden hatte. Man hat uns offenbar in eine Bewerbung gehetzt, obwohl man von Anfang an wusste, dass man uns nicht mehr verlängern wollte.
Abdullah: Das ist offenbar der neue politische Stil, siehe Burgtheater und Kunsthalle, auch dort waren die Wiederbewerbungen der Amtsinhaber eigentlich chancenlos. Da haben Kulturleiterinnen und -leiter viel geleistet und werden von der Kulturpolitik schlecht behandelt.
Posch: Wenn man Veränderung will, kann man das doch bitte offen kommunizieren, man verabschiedet sich, bedankt sich und schreibt die Position neu aus. Das bisschen Mut und Professionalität darf man schon erwarten. Jedenfalls ist es schade, wenn es diesen Ort für gesellschaftspolitisch progressives und avanciertes Sprechtheater vielleicht bald nicht mehr geben sollte.
Abdullah: Wir kennen das Konzept unserer Nachfolgerin nicht. Allerdings finde ich: Wenn etwas gut funktioniert, sollte man sich überlegen, ob man es nicht verschlimmbessert.
Haben Sie Zukunftspläne?
Abdullah: Jetzt geht alle Kraft in das Finale und in eine saubere Übergabe, danach sind wir bereit für Neues.
Werden Sie wieder zusammenarbeiten?
Posch: Auch das ist noch offen.