Kornél Mundruczós Spielfilm "Pieces of a Woman" (2020) vergisst man nicht so leicht: Der Film hebt mit einer gut 20-minütigen realitätsnahen Geburtsszene an, wie man sie in dieser Länge und Deutlichkeit kaum je auf der Leinwand sieht - und dann passiert das Schreckliche: Das Baby stirbt.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück, das ab Sonntag (14. Mai) im Rahmen der Wiener Festwochen im Akademietheater zu sehen ist und wohl einer der Höhepunkte des Eröffnungswochenendes sein wird. Die "Wiener Zeitung" traf den ungarischen Regisseur zum Interview.

"Wiener Zeitung": "Pieces of a Woman" beruht auf persönlichen Erfahrungen, wie lässt sich so ein traumatisches Erlebnis in Form eines Kunstwerks verarbeiten?

Kornél Mundruczó. afp / T. Fabi - © afp / T. Fabi
Kornél Mundruczó. afp / T. Fabi - © afp / T. Fabi

Kornél Mundruczó: Das ist doch nicht ungewöhnlich, viele Künstler verwenden persönliche Erfahrungen, um daraus Kunst zu machen. Uns ist nicht haargenau dasselbe passiert, aber durch dieses Erlebnis wurde uns bewusst, was für ein Tabu der Tod eines Kindes ist. Wir haben gar keine Sprache dafür, finden keine Worte, um den Schmerz auszudrücken. Wenn man seine Eltern beerdigt, ist das traurig, aber es entspricht dem Kreislauf des Lebens, aber das eigene Kind zu begraben, da sträubt sich einem alles dagegen. "Pieces of a Woman" stellt also sehr persönliche, zugleich aber auch hochpolitische Fragen.

Inwiefern politisch?

Weil es dabei auch darum, wem der weibliche Körper gehört. Und: Kann eine Frau frei entscheiden, ob und wie sie ihr Kind auf die Welt bringen möchte? Als wir an dem Stück gearbeitet haben, entbrannte in Ungarn eine heftige Debatte um Hausgeburten und Hebammen, auch diesen Aspekt bringen wir ein.

Ist das Stück anders als der Film?

Das Stück ist philosophischer und setzt er sich mehr mit der Lebensrealität osteuropäischer Familien auseinander. Die Uraufführung von "Pieces of a Woman" fand in Polen statt, auch dort werden bekanntlich Themen wie Abtreibung äußerst kontrovers diskutiert. In Polen wie in Ungarn sind derzeit konservative und rechtspopulistische Regierungen an der Macht. Zunehmend werden die ideologischen Kämpfe auch am Familientisch ausgetragen, Familienmitglieder stehen einander wegen divergierender Meinungen unversöhnt gegenüber. Das gab es früher nicht in dem Ausmaß.

Wie erklären Sie sich das?

Der Populismus der Herrschenden und die Vehemenz des politischen Diskurses führen zu einer bewusst herbeigeführten Spaltung der Gesellschaft; das geht auch an den einzelnen Familien nicht spurlos vorüber.

Warum haben Populisten gerade in Osteuropa Konjunktur?

Das hat viel mit den Verwüstungen der 1990er Jahre zu tun. Die Menschen, die damals gerade den Sozialismus abgestreift hatten, wünschten sich nichts sehnlicher als Demokratie und Freiheit, aber waren überhaupt nicht auf das vorbereitet, was dann kam: brutaler Kapitalismus. Das war wie ein Schock. Die populären Regierungen sind die Antwort auf diese Umbruchs-Phase.

Welche Rolle könnte die EU übernehmen?

Ich bin nach wie vor ein großer Befürworter der EU, aber ich bin auch sehr enttäuscht. Es geht doch nur mehr um ökonomische Vorteile. Wo bleiben die ideellen Werte?

Beweist der Schulterschluss der EU bei der Unterstützung der Ukraine nicht das Gegenteil?

Das zeigt doch nur, wie leer das Versprechen der EU ist, wenn es einen Krieg braucht, damit die europäischen Länder zusammenhalten. Ich denke, dass die Nachkriegsideale keine relevanten Antworten auf Fragen unserer Zeit parat haben, die Werte sind irgendwie ausgehöhlt.