Nach nur fünf Festwochen-Ausgaben verlässt Kulturmanager Christophe Slagmuylder Wien aus freien Stücken, sein Nachfolger ist der Schweizer Theatermacher Milo Rau. Die "Wiener Zeitung" traf den Intendanten zum Abschiedsinterview.
"Wiener Zeitung" "We have it all", verkündeten Sie bei der Präsentation Ihres letzten Programms. Was ist heuer aufgegangen, was in den Jahren zuvor nicht glückte?
Christophe Slagmuylder: Im ersten Jahr bin ich kurzfristig eingesprungen und musste extrem schnell einen Spielplan entwickeln. Dann kam Corona. Meine gesamte Zeit in Wien war demnach umschatten von Umständen, die alles andere als einfach waren. Gerade ein internationales Festival wie die Wiener Festwochen wurde durch die globale Pandemie und deren Nachwehen, empfindlich getroffen. Viele Großproduktionen konnten schlichtweg nicht über die Bühne gehen, einige meiner Vorhaben kann ich erst in diesem Jahr zeigen, beispielsweise Milos Raus "Antigone im Amazonas". 2023 verbinden die Festwochen Exzellenz und Experiment, es geht um Offenheit und einen Dialog mit verschiedenen Generationen, internationalen wie lokalen Künstlerinnen und Künstlern. Außerdem haben wir heuer eine gute Balance zwischen bereits etablierten Aufführungen und Neuproduktionen gefunden. Natürlich war es für mich auch ein Lernprozess. Jede Stadt ist anders, man kann nicht mit demselben Instrumentarium, das etwa in Brüssel funktioniert, in Wien ein Festival programmieren.

Was haben Sie über die Wiener Theatergeher gelernt?
Wien ist eine Stadt, in der Kultur und Tradition einen hohen Stellenwert genießen, es gibt das ganze Jahr über großartiges und hoch subventioniertes Theater, weitaus mehr als in vielen anderen Städten der Welt. Allerdings mischen sich die Gattungen und Genres hier kaum: Freie Szene und Stadttheater sind in einer Weise getrennt, die mir nicht vertraut war. Auch fehlt es meiner Einschätzung nach an Offenheit für Aufführungen, in denen Genregattungen durchbrochen werden. Mir ging es stets um ein horizontales Programm, bei dem jede Produktion gleichwertig und gleichwichtig ist, Kleinstproduktionen denselben Stellenwert haben wie Formate in XL.
Damit lagen Sie mit der Tradition der Festwochen überkreuz, wo es stets glamouröse Sprechtheater-Aufführungen und Gastspiele aus Deutschland gab. Haben Sie etwas gegen das Sprechtheater?
Nein, überhaupt nicht. Aber ich finde, dass wir uns in einer Umbruchzeit befinden, eine neue Generation an Regisseuren ist angetreten. Im Vorjahr haben wir etwa erstmals Christopher Rüping in Wien gezeigt, heuer wird Julien Gosselin erstmals in Wien gastieren, passenderweise mit einer Inszenierung über Thomas Bernhard und Arthur Schnitzler.
Wie geht ein internationales Festival mit Nachhaltigkeit um?
Trotz bester Vorsätze lässt sich das kaum einlösen, ein nachhaltiges internationales Festival widerspricht sich zwangsläufig. Wir suchen nachhaltiger zu werden, indem Künstlerinnen und Künstler, die eine weite Anreise haben, länger in Wien bleiben, um hier auch Workshops zu geben.
Die feudale Struktur der Festwochen wurde etwa von Frie Leysen, eine Ihrer Vorgängerinnen kritisiert. Konnten Sie daran etwas ändern?
Oh ja, ich habe das radikal geändert. Mein Nachfolger wird in eine ganz andere Organisation übernehmen, als ich sie vorgefunden habe.
Was haben Sie denn geändert?
Die Art und Weise, wie wir intern und auch mit Partner-Institutionen zusammenarbeiten, ist weniger hierarchisch, wesentlich teamorientierter. Außerdem gab es an zentralen Positionen Neubesetzungen, eine neue Generation ist jetzt am Werk. Auch haben wir eine eigene Abteilung für Vermittlungsprojekte aufgebaut, das gab es zuvor nicht in dieser strukturierten Form, wir arbeiten mit verschiedenen Universitäten und Schulen zusammen, sprechen mehr als 200 Jugendliche an. Projekte mit und für ein junges Publikum, Partizipation von Menschen, die hier leben, all das ist auch für ein international ausgerichtetes Festival wesentlich.
Die Frage wird seit langem kontrovers diskutiert: Wer ist besser geeignet für die Position einer künstlerischen Intendanz: Kunstschaffende oder Kulturmanager, wie Sie?
Das ist eine knifflige Frage, weil Sie damit wohl auf meinen Nachfolger anspielen. Ich schätze Milo Rau überaus und arbeite seit vielen Jahren mit ihm zusammen. Aber meiner Erfahrung nach ist Festivalleitung ein Job, dem man sich voll und ganz widmen sollte, und auch Kunstproduktion ist eine Aufgabe, die einen mit Haut und Haaren erfüllt. Also ja, ich finde, ein Kulturmanager ist besser für die Aufgabe geeignet.