Vor fast 100 Jahren, nämlich 1927, wurden die Wiener Festwochen gegründet und 1951 nach dem Zweiten Weltkrieg neugegründet. Seither bieten sie Jahr für Jahr fünf Wochen lang im Mai und Juni ein buntes Kulturprogramm, bei dem allerdings bis heuer eine Sparte fehlte: Das Kabarett ist erst mit der aktuellen Ausgabe hinzugekommen (www.festwochen.at/comish). Und was hier erstmals geboten wird, ist programmatisch - einerseits, weil nicht bloß arrivierte Promis auftreten, sondern auch junge Wilde, und andererseits, weil die Mehrzahl davon Frauen sind, und die sind auch im Jahr 2023 in der Kabarettszene immer noch unterrepräsentiert.

Kulisse-Betreiberin Alexa Oetzlinger und Agenturchefin Julia Sobieszek, die in der Corona-Pandemie die Interessengemeinschaft (IG) Kabarett mitgegründet haben, schätzen den Frauenanteil auf etwa ein Drittel der rund 300 bis 400 Kabarettschaffenden. Vor allem die Spitze ist nach wie vor männerdominiert, "weil es auch ein Zeitfaktor ist", meint Sobieszek. "Die wenigsten beginnen ihre Karriere und sind gleich an der Spitze. Wer jetzt ganz oben steht, ist seit Jahren oder Jahrzehnten im Geschäft. Und das sind eben größtenteils Männer. Aber ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern, bis es auch an der Spitze ausgewogen sein wird."

Männer sind meistens auch besser ausgelastet, berichtet Oetzlinger. "Und bis vor Kurzem waren ja auch im Fernsehen kaum Kabarettistinnen zu sehen. Aber in 10, 15 Jahren sieht es sicher besser aus für die Frauen", ist sie überzeugt. "Wir haben beim Nachwuchs, wo viele das Kabarett derzeit noch als Nebenjob machen und nicht so viele Auftritte haben, sehr viele Frauen." Sobieszek tritt auch im Kabarett für Frauenquoten ein. In der Kulisse - dem einzigen von einer Frau geführten Kabarettlokal in Wien - ist übrigens der Frauenanteil besonders hoch. Die Chefin legt auch Wert darauf, nicht nur Mainstream zu spielen. "Ich könnte die Kulisse höher auslasten, aber dann würde ich meine eigenen Interessen verraten, Frauen und Nachwuchs zu fördern", meint Oetzlinger.

"Wir sind daran gewöhnt"

Die bekannteste Kabarettistin bei den Festwochen hat ihren Auftritt bereits hinter sich: Nadja Maleh hat Lieder aus ihrem aktuellen Solo "Bussi Bussi" gesungen. Angesprochen auf die Geschlechterverhältnisse im Kabarett, sagt sie: "Als ich vor 25 Jahren angefangen habe, bin ich das Gleiche gefragt worden. Es hat sich schon verbessert, es gibt heute viel mehr Frauen, die nachrücken. Aber es ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, dass Männer überall im Vordergrund stehen. Wir sind daran gewöhnt, das hinterfragt man nicht. Frauen werden auch deutlich härter bewertet und geprüft. Ich habe oft gehört: Als Frau musst du doppelt so gut sein wie als Mann." Umgekehrt attestieren Studien Männern ein stärkeres Selbstbewusstsein.

Sobieszek meint dazu: "Wenn eine Frau eine tiefe Wuchtel schiebt, schauen die Leute eher schief als bei einem Mann, wo noch gelacht wird." Und wenn es unter die Gürtellinie geht, sind die Reaktionen ebenfalls unterschiedlich. Männern werden sexualisierte Witze eher verziehen, meint Oetzlinger, während etwa Antonia Stabingers Bühnenfigur "Clit/Doris" für Aufregung gesorgt hat. Maleh erklärt das auch mit der traditionellen Sozialisierung von Mädchen, "die harmonisieren, aber bloß nicht polarisieren oder Tabus brechen sollen". Und wenn sie anecken, wie etwa eine Lisa Eckhart, haben sie es alles andere als lustig. "Wer hält sowas bitte aus?"

Von männlichen Kollegen und auch vom Publikum spürt sie aber ausschließlich Unterstützung, betont Maleh. "Ich habe früher von Kollegen gehört, dass sie angepöbelt worden sind - offenbar habe ich so ein niveauvolles Publikum, ich bekomme immer nur Komplimente oder ein Lächeln, mir ist noch nie jemand blöd gekommen." Generell werden heute auf der Bühne auch weniger Witze von Männern über Frauen gemach. Allerdings führt sie hier als Grund an: "Auf Schwächere, die unter einem stehen, tritt man nicht auch hin."

Karten müssten teurer sein

Was Frauen und Männer in der Kabarettszene gleichermaßen betrifft, ist die Teuerung. Zwar ist das Publikum jetzt nach Corona wieder zurückgekehrt, was aus Sicht der IG Kabarett für eine sehr gute Erholung sorgt, aber gerade die Bühnen spüren die stark gestiegenen Kosten. Die höheren Umsätze durch die nun wieder gestiegene Auslastung "frisst die Inflation gleich wieder weg. Eigentlich müssten die Kartenpreise stark erhöht werden", sagt Oetzlinger. "Aber das traut sich natürlich keiner, auch wenn eine Steigerung von 50 bis 80 Prozent die Realität abbilden würde." Auch, weil die Kultur ein Luxussektor ist. Und wer sparen muss, tut es vor allem hier. "Die Stammgäste kommen jetzt seltener und konsumieren dabei auch weniger."

Eine Nachwirkung von Corona ist, dass eine Vollauslastung wie vor der Pandemie heute undenkbar ist: "Die Kulisse wäre für 219 Leute zugelassen, aber wenn ich die alle reinlasse, beschweren sich mindestens 20 Besucher, dass das viel zu eng ist", sagt die Hausherrin, die wie viele Bühnen die Zahl der Sitzplätze dauerhaft reduziert hat. Richtig Angst hat das Kabarettpublikum aber keine mehr, meint Sobieszek. "Die Leute kommen wieder quer durch alle Altersklassen."

Gerade im Kabarett hat sich in den vergangenen Jahren auch der Markt massiv verändert, weil verschiedene Gratisangebote dazugekommen sind. "Die Branche ist außerdem mehrheitlich unsubventioniert", erklärt Sobieszek. "Es gibt nur punktuelle Förderungen." Gerade das macht das Kabarett aber aus ihrer Sicht "sehr demokratisch - es wird das gespielt, wo die Leute Karten kaufen, das Publikum entscheidet also und nicht irgendein Intendant, der ohnehin seine Subventionen bekommt, egal wie hoch die Auslastung ist". Oetzlinger sieht das nicht ganz so positiv: "Die Leute kommen seltener und schauen sich dabei nur das an, was sie kennen." Und das sind meistens Männer, womit wir wieder beim Geschlechterthema wären.

Vom Internet auf die Bühne

Am Mainstream vorbei zu programmieren, ist also ein Risiko, das nicht jede Bühne eingehen will. Und das macht es schwieriger für den Nachwuchs. Andererseits sieht Sobieszek eine Nachwirkung der Pandemie darin, dass jetzt viele Junge aus dem Online- und Social-Media-Bereich auf die Bühne streben. "Die probieren sich vorher im Netz aus und können sich im Idealfall dort schon ein Publikum erarbeiten, das sie dann mitnehmen können." Freilich funktioniert nicht jede Online-Satire auch auf der Bühne, aber wer Videos ins Internet stellen kann, ist hier klar im Vorteil. Und Oetzlinger hat selbst erlebt, dass deutsche YouTuber, "nach 20 Minuten ausverkauft waren".

Ein Beispiel für einen Act, der von TikTok aus die Bühne erobert hat, ist Irina alias Toxische Pommes, die nun am 7. Juni auch bei den Wiener Festwochen zu sehen ist. "Mit einem coolen Social-Media-Video geht natürlich auch die Mundpropaganda schneller", sagt Sobieszek. Wer es geschickt anstellt, kann mittlerweile auch online Geld verdienen, einerseits durch Klicks, andererseits durch Werbeeinschaltungen. "Die akzeptieren die Leute, weil sie im Gegenzug Unterhaltung bekommen. Aber eine Existenz aufbauen kann man sich immer noch eher auf der Bühne."