"Das Leben ist eine Achterbahn"

Von Nestroy bis Schwab: Kammerschauspielerin Maria Happel über ihre zweite Spielzeit als Intendantin der Festspiele Reichenau – und wie sie beinahe in der Schauspielschule durchgefallen wäre.

Wiener Journal: In Ihrem diesjährigen Programm für die Festspiele Reichenau fällt neben Klassikern des Sommertheaters wie Nestroy mit "Einen Jux will er sich machen" und Molières "Tartuffe", Werner Schwabs "Präsidentinnen" aus dem Rahmen. Hat Schwab bereits Klassiker-Status?
Maria Happel: Werner Schwab ist ein moderner Klassiker und ich finde, Reichenau ist reif dafür. Die Semmering-Region war zur Jahrhundertwende ein Ort der Begegnung und des Austausches für Künstler und Denker. Ich möchte nicht nur an diese glorreiche Zeit erinnern, sondern wieder daran anknüpfen, mein nächstes Ziel ist daher eine Uraufführung.

In Ihrer ersten Spielzeit als Intendantin lag die Auslastung bei rund 80 Prozent, Ihre Vorgänger erzielten höhere Werte. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?
Wir verbuchen das Vorjahr trotzdem als Erfolg, weil wir es durch die Nachwehen von Corona besonders schwer hatten. Aber ich habe wohl einen Fehler gemacht: Wir haben alle Stücke gleich oft gespielt; hätte ich wie ein Aktionär gehandelt, den Spielplan etwas anders gewichtet, hätten wir ein besseres Ergebnis erzielt. Das haben meine Vorgänger übrigens auch gemacht.

Auf welche "Aktie" setzen Sie in diesem Jahr? Lassen Sie mich raten: Robert Meyers Inszenierung von Nestroys "Einen Jux will er sich machen"?
Natürlich – und es wird großartig werden! Robert Meyer kehrt nach Reichenau zurück und noch dazu mit Nestroy. Seine Nestroy-Interpretationen sind legendär, er ist wie geschaffen für dessen Sprachwitz und Hintersinn. Aber nicht nur Nestroy wird punkten, ich setze voll und ganz auf alle Premieren.

Welche Position soll Reichenau unter Ihrer Ägide im Sommertheater-Orchester einnehmen?
Die erste Geige! Ich habe die Entwicklung in Reichenau über viele Jahre hinweg als Schauspielerin wie Regisseurin miterlebt und ich fand immer einzigartig, dass es hier eine Melange an Schauspielerinnen und Schauspielern gibt, die man sonst nie zusammen finden würde – vom Burgtheater bis zur freien Szene, vom Fernsehen bis zur Josefstadt: In Reichenau entstehen einmalige Konstellationen – diesen Spirit möchte ich beibehalten.

Schauplatzwechsel: Seit 2020 leiten Sie das renommierte Max Reinhardt Seminar. In Ihrer Autobiografie berichten Sie darüber, dass Sie selbst beinahe durchgefallen wären und man Ihnen attestierte, dass Sie bestenfalls "eine unterdurchschnittliche Schauspielerin" werden würden.
Das Leben ist eine Achterbahn, es läuft nie glatt, sonst wäre es ja auch langweilig, man muss mit Rückschlägen fertig werden. Wichtig ist, dass man aus einem Tief wieder herausfindet, entscheidend dabei ist, dass man an das, was man tun möchte, glaubt; nicht unbedingt an sich selbst, Selbstzweifel gehören zum Schauspieler-Leben dazu, aber am Theater muss man unbeirrt festhalten. Rückblickend betrachtet, ist es schon unglaublich, dass ausgerechnet ich jetzt in Max Reinhardts ehemaligem Büro sitzen darf.
Werden Ihre Studierenden noch mit solchen vernichtenden Aussagen konfrontiert?
Die Zeiten haben sich Gott sei Dank geändert. Wir geben Feedback, aber auf wertschätzende Art und Weise. Eine Schauspielschule ist wie ein Simulator, ein Ort, an dem man sich angstfrei entfalten kann.

Lässt sich Schauspielen überhaupt lernen?
Oh, man kann eine ganze Menge lernen, mit Fleiß kann man es weit bringen. Es gibt Menschen, die sind zu 70 Prozent Naturtalente, andere haben vielleicht nur 30 Prozent Talent, aber die sind dann oft viel fleißiger, ehrgeiziger und disziplinierter, sodass sie nicht selten die Begabteren überholen.

Sie sind seit 1991 Ensemblemitglied am Burgtheater. Wie gehen Sie mit den Veränderungen am Theater um?
Ich bin offen für alles Neue und will Entwicklungen am Theater nicht verpassen, aber ich bestehe auch bei neuen Herangehensweisen auf Textgenauigkeit, wie ich es unter Peymann gelernt habe. Ich lese jeden Text wie eine Partitur, versuche jedes Rufzeichen, jeden Gedankenstrich ernstzunehmen, das fließt in die Arbeit mit jungen Regisseurinnen und Regisseuren ein. In der "Orestie" heißt es an einer Stelle: "Lasst uns Alte von den Jungen lernen." Daran halte ich mich, nur dann kann etwas entstehen.

"Menschen fürs Theater begeistern"

Neu- und Wiederentdeckungen: Die ehemalige Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann über ihren zweiten Festspiel-Sommer in Gmunden.

Karin Bergmann: "Ich hoffe, dass es uns glückt, junge Menschen an das Medium Theater heranzuführen." 
- © Christoph Liebentritt

Karin Bergmann: "Ich hoffe, dass es uns glückt, junge Menschen an das Medium Theater heranzuführen."

- © Christoph Liebentritt

Wiener Journal: Wie kam das Theater zurück nach Gmunden?
Karin Bergmann: Das war für mich eine Grundvoraussetzung, um im Team anzudocken. Das Theater sollte für dieses kleine, durchaus renommierte Festival mit einer Premiere wieder belebt werden.

Wie sieht Ihr Konzept für diesen Sommer aus?
Die dramaturgische Konzeption ruht auf drei Säulen. Erstens wird ein Dichter des Welttheaters zu erleben sein: Nach Schnitzler in der ersten Festival-Ausgabe, wird in meiner zweiten Saison ein Stück des Giganten Shakespeare zu sehen sein. Zweitens: ein zeitgenössischer Autor, eine zeitgenössische Autorin. Im Vorjahr war Thomas Arzt zu Gast, heuer widmen wir der Linzerin Teresa Dopler eine Personale. Schließlich ergibt sich durch die unmittelbare Nähe zu Thomas Bernhards ehemaligem Wohnhaus in Ohlsdorf ein weiterer Schwerpunkt. Die Auseinandersetzung mit Bernhards Werk ist für mich eine Herzenssache.

Claus Peymann und Hermann Beil werden die szenischen Lesungen bestreiten. Die enge künstlerische Verbindung zwischen Peymann und Bernhard ist legendär.
Ja, darauf freue ich mich besonders. In Bernhards ehemaligem Wohnhaus wird es auch eine Lesung von Teresa Dopler geben. Dadurch wird das Haus, dem eine ganz besondere Atmosphäre innewohnt, nicht zum Museum, sondern zu einem vitalen Ort der Zeitgenossenschaft.

Mit Verlaub: Ihr Programm bietet keine Sommertheater-Kracher.
Korrekt. Mir geht es nicht um die immer gleichen Komödien. Wir zeigen Shakespeares "Der Sturm", ein Appell an den Humanismus. Es geht darin um Macht und Machtverlust, um Intrigen und Liebe. Dass Prospero sich für Versöhnung einsetzt, finde ich gerade in unseren Zeiten erstrebenswert. Shakespeare wird dazu von Zusatzveranstaltungen mit Birgit Minichmayr und Joachim Meyerhoff flankiert. Regisseurin Anna Stiepani plant eine szenische Lesung. Das Besondere daran: Schauspielerinnen und Schauspieler arbeiten zusammen mit Schülerinnen und Schülern. Ich hoffe, dass es uns glückt, junge Menschen an das Medium Theater heranzuführen und jene Menschen aus der Region fürs Theater zu begeistern, die sonst nicht ins Theater gehen. Das ist es, was zählt.

Starker Gegenwind

Debatten auslösen und aushalten: Schauspiel-Chefin Bettina Hering über ihren siebten und letzten Sommer bei den Salzburger Festspielen.

Bettina Hering: "In meinen Jahren als Schauspielchefin haben so viele Frauen in Salzburg inszeniert wie noch nie zuvor." 
- © SF / Monika Rittershaus

Bettina Hering: "In meinen Jahren als Schauspielchefin haben so viele Frauen in Salzburg inszeniert wie noch nie zuvor."

- © SF / Monika Rittershaus

Ulrich Rasches Maschinentheater legt sich über Lessings "Nathan der Weise", Karin Henkel ist mit einer Neubearbeitung von Hanekes Spielfilm "Liebe (Amour)" am Start, Helgard Haug setzt sich mit Brechts "Der kaukasische Kreidekreis" auseinander und schließlich noch die Dramatisierung von Mareike Fallwickls Roman "Die Wut, die bleibt": Der letzte Spielplan von Bettina Hering vereint bei den Salzburger Festspielen große Stoffe mit exzeptionellen Positionen. Die Schauspiel-Chefin reflektiert im E-Mail-Interview über ihre sieben Festspiel-Sommer und über Zukunftspläne.

Wiener Journal: Wohin geht die ästhetische Reise bei diesem, Ihrem letzten Spielplan als Schauspiel-Chefin der Salzburger Festspiele?
Bettina Hering: Der Aufschlag mit Lessings "Nathan der Weise" gibt mit der Grundsatzbefragung des Toleranzgedankens und dem Willen, szenisch eine neue Menschheitsfamilie zu zeigen und aufzurufen, den Grundton vor. Dass es bei "Liebe", fast schon wie im "Jedermann", um den Tod geht, erweitert den inhaltlichen Reigen, der mit der Brechtschen Frage nach der mütterlichen Liebe und der ganz heutigen Befragung der Mutterrolle in der Gesellschaft durch Mareike Fallwickl seine Fortsetzung findet. Von der Aufklärung bis heute, die Stoffe ähneln sich in den Fragen, wenn sie auch grundlegend anders gestellt werden und sich das in den jeweiligen Regiehandschriften abbildet. Ein Festspielsommer ist eine Essenz von Themen, künstlerischen Persönlichkeiten und Positionen, die kraftvoll, durchdacht und zeitlos sind, die Debatten auslösen und aushalten.

War Ihnen die Förderung von Frauen ein Anliegen?
In meinen Jahren als Schauspielchefin haben so viele Frauen in Salzburg inszeniert wie noch nie zuvor. Das sollte man eigentlich gar nicht mehr erwähnen müssen, aber so weit scheinen wir noch nicht zu sein. Dass es mir ein großes Anliegen war und ist, Frauen in allen Positionen zu fördern, ist für mich selbstverständlich und an allen von mir verantworteten Programmierungen deutlich ablesbar.

Ihr Programm orientierte sich sehr am Stadt- und Staatstheater. Sollte ein Spitzenereignis wie die Salzburger Festspiele nicht eigenständigere Wege gehen?
Das Schauspiel der Salzburger Festspiele geht eigenständige Wege. Alleine die Besetzungen des "Jedermann" bilden einen Kosmos von großartigen Kolleginnen und Kollegen. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen und bilden Jahr für Jahr ein temporäres, glänzendes und außergewöhnliches Ensemble. Internationale Regisseurinnen wie Regisseure, von Athina Tsangari über Kornél Mundruczó bis Yana Ross und vielen anderen haben hier zum ersten Mal inszeniert. In Eigenproduktionen der Salzburger Festspiele wie in Koproduktionen, die zum einen im Sinne der Nachhaltigkeit wichtig sind, da die Vorstellungen weitergespielt werden und von einem noch sehr viel größeren Publikum gesehen werden können, und zum anderen natürlich auch aus budgetären Gründen.

Das Schauspiel steht in Salzburg im Schatten des Musiktheaters – liegt darin auch eine Freiheit? Oder sollte sich daran etwas grundlegend ändern?
Ich sehe keinen Schatten. In den Jahren meiner Leitung war das Schauspiel weit über 90 Prozent ausgelastet und wurde flächendeckend rezensiert. Strukturell könnte sich, wie in jedem Betrieb, selbstverständlich immer noch mehr verändern, auch wenn schon täglich viel passiert! Trotzdem ist den Festspielen zu wünschen, dass dieses kulturelle Monument in der Zukunft möglichst wendig und offen für neue Entwicklungen ist und bleibt.

Bekamen Sie als erste Frau in einer Leitungsfunktion der Salzburger Festspiele mitunter rauen Gegenwind zu spüren?
Die Position, die ich nun im siebten Jahr innehabe, ist prinzipiell mit starkem Gegenwind verbunden, weil sie sehr exponiert ist. Das ist also keine Überraschung, wenn man diese antritt. Mit Sicherheit wurde und werde ich nach wie vor anders wahrgenommen als Frau in meiner Position, sowohl intern als extern.

Haben Sie schon Pläne für Ihre Zeit nach Salzburg?
Ja, ich mache mir selber mit einem Sabbatical das größte Geschenk.

Wird es Sie jemals wieder im Sommer ins Theater ziehen?
Als Zuschauerin auf jeden Fall!

"Die Leute hier haben die Kultur zu sich geholt"

Die Dirigentin Michi Gaigg leitet seit 2003 die Donaufestwochen im Strudengau.

Die Dirigentin Michi Gaigg bei der Arbeit. 
- © wali.pix / donauFESTWOCHEN

Die Dirigentin Michi Gaigg bei der Arbeit.

- © wali.pix / donauFESTWOCHEN

Wie sie zu Nikolaus Harnoncourt und dem Originalklang gekommen ist? Ein Zufall, erinnert sich Michi Gaigg im Gespräch: "Als ich 14 oder 15 war, wollte ich unbedingt eine Schallplatte mit den Orchestersuiten von Bach haben. Es gab damals ein Sonderangebot von Bertelsmann; also habe ich fleißig gespart, und eines Tages kam die Platte ins Haus." Den Namen des Dirigenten auf dem Tonträger, Harnoncourt, habe sie anfangs nicht richtig aussprechen können. Seine Interpretation bescherte ihr allerdings ein Schlüsselerlebnis: "Als ich die Platte aufgelegt habe, bin ich fast in Ohnmacht gefallen. So habe ich das noch nie gehört, so tänzerisch, swingend."
Genau so wollte Michi Gaigg ab diesem Zeitpunkt immer Barockmusik hören. Und auch selbst machen. In Ermangelung einer Ausbildungsstätte für Originalklangmusiker – die Szene bildete sich damals erst – lernte die Oberösterreicherin von den Pionieren der Zeit. Von Harnoncourt, der in Salzburg seinerzeit eine Vorlesung hielt, "spannend wie ein Krimi". Und von Größen wie Alan Curtis, Christopher Hogwood oder René Jacobs, mit denen Gaigg arbeitete. 1983 gründete die studierte Geigerin dann ihr erstes eigenes Ensemble, L’Arpa Festante München. War das damals nicht ungewohnt, eine Frau an der Orchester-Spitze? Das stach nicht so sehr ins Auge, meint Gaigg, weil sie das Ensemble von der Geige aus führte.
Die Rolle der Leiterin sollte nichtsdestotrotz bestimmend für ihr Leben werden. Bis 1995 führte Gaigg ihr Ensemble in Deutschland, ab 1996 dann das frisch gegründete L’Orfeo Barockorchester in Österreich: Der freischaffende Klangkörper steht bis heute unter Gaiggs Leitung und hat mehr als 40 Alben aufgenommen, von der Barockmusik bis hin zu einer Gesamteinspielung der Schubert-Symphonien, die unter widrigsten Bedingungen während der Pandemie finalisiert wurde.
Seit 2003 verantwortet Gaigg zudem ein Festival. "Das war wieder so ein Glücksfall", sagt sie über das Engagement im Donautal. "Walter Edtbauer, Präsident der Donaufestwochen im Strudengau, hat mich eines Tages angerufen und gefragt, ob ich an der Intendanz interessiert wäre. Ich fuhr also hin, sah mir die Spielorte an einem wunderschönen Frühlingstag an und musste sagen: Von so etwas kann man nur träumen." Gaigg nahm den Job an, stellte allerdings eine Bedingung – dass sie im Grenzland zwischen Ober- und Niederösterreich keine Organisationsarbeiten leisten müsse; solche Tätigkeiten würden sie schon als Orchesterleiterin gebührlich belasten. So wurde es dann auch vereinbart. "Im Strudengau plane ich das Programm des Festivals, ich engagiere die Künstler – und fertig" sagt sie. Jahr für Jahr treffen bei den Donaufestwochen Raritäten der Alten Musik auf zeitgenössische Werke. Heuer steht Mozarts "Zaide" im Zentrum: Die 66-jährige Intendantin und ihr L’Orfeo Barockorchester werden das Opernfragment ab dem 5. August im Renaissance-Hof von Schloss Greinburg zum Klingen bringen.
Die Organisationsarbeit vor Ort verrichten helfende Hände. Menschen, die vor den Bühnen Sessel aufstellen, die Karten verkaufen und am Büffet arbeiten, die insgesamt eine "ehrenamtliche, aber sehr professionelle Arbeit" leisten, wie Gaigg sagt. "Die Leute sind sehr kunstbegeistert hier. Weil Grein ein wenig abseits liegt, haben sie offenbar beschlossen, die Kultur zu sich zu holen. Irgendwas pulsiert in dieser Kleinstadt, es ist wahnsinnig schön, das mitzuerleben." Gaigg tut dies mittlerweile seit geraumer Zeit: Die ursprünglich drei Jahre Laufzeit ihres Vertrags haben sich in 20 verwandelt. Viel mehr sollen es aber nicht mehr werden: "Ich werde Platz machen, ich bin auch nicht mehr die Jüngste", erklärt Gaigg und wird voraussichtlich in nicht allzu ferner Zukunft Adieu sagen.