Schon beim Einlass wird das Publikum auf das "performative Event" eingestimmt: Mit dem Verlesen der Namen politischer Gefangener. Der weiße Boden des Bühnenraums mit filigran gezeichneten Pflanzen weist den Weg in die metaphorische Verortung: Kunstgärten und Parks als "öffentlicher Raum der Extreme", der Einkehr und Veränderung.
Zwei Jahre nach seiner Bach-Arbeit "Sad Sam Matthäus" hat der kroatische Choreograf und Regisseur Matija Ferlin mit Luigi Dallapiccolas "Canti die Prigionia" ein weiteres konzertantes Stück um Regieanweisungen und verschiedensprachige Texte erweitert. Er arbeitet mit Zitaten - in Bildern und Worten - und greift damit den Ansatz des Komponisten auf, der seinen drei Gesängen Texte im "Angesicht des Todes" zugrunde legte. Zu Unrecht ist die Musik Dallapiccolas selten zu hören, verfügt sie doch über eine gewaltige Kraft, die das Ensemble Phace unter Dirigentin Cordula Bürgi mit Schlagwerk, Harfen und Klavieren beeindruckend umsetzt. Entstanden aus eigenen Erfahrungen im Gefängnis, die er während des Ersten Weltkriegs gemacht hatte, ist das Werk Dallapiccolas Antwort - mit wiederkehrendem Dies-irae-Motiv - auf das faschistische Regime Mussolinis.
Ferlin versetzt die Szene mit pathetischen Gesten des Chores, kontrastierenden Kostümen (in Rosa und Schwarz), mit Weihrauch und Fotos von antiken Skulpturfragmenten in einen Zustand ohne klare zeitliche Zuordnung: damals, heute, jederzeit. Er bedient sich wirksamer Sujets wie dem offenen Mund, einem stummen Schrei - überraschend und täuschend echt fällt eine Sängerin des überzeugenden Cantando Admont in Ohnmacht. Ferlin erschafft einen wild durchmischten Assoziationsraum, der in einen gänzlich neuen Klang mündet: dem erlösenden Brummen von Ventilatoren, die frische Luft ins Publikum wehen.