Wien. Wie ein Tagtraum beginnt dieses Stück. Ein namenloser Ich-Erzähler erinnert sich darin an sein Zuhause: Da sei eine Heide, sagt er, dort ein Apfelbaum und eine Sitzbank, auf der er oft mit seiner Mutter gesessen habe. Jäh tauchen die Vorfahren des Vortragenden auf, wie Geistererscheinungen betreten sie die Bühne - und die Handlung nimmt ihren Lauf.

Die Burgtheater-Besetzung (v. l.): Matthias Leja (Mein Großvater), Gabriela Maria Schmeide (Meine Großmutter), Bibiana Beglau (Ursula, "Snežena") und Heiko Raulin (Benjamin).
Die Burgtheater-Besetzung (v. l.): Matthias Leja (Mein Großvater), Gabriela Maria Schmeide (Meine Großmutter), Bibiana Beglau (Ursula, "Snežena") und Heiko Raulin (Benjamin).

"Immer noch Sturm", Peter Handkes jüngstes, traumhaft anmutendes Stück, wurde bei den diesjährigen Salzburger Festspielen uraufgeführt; die Koproduktion mit dem Hamburger Thalia Theater feiert nun am Montag, den 3. Oktober, am Wiener Burgtheater Premiere. Die knapp fünfstündige Inszenierung in der Regie Dimiter Gotscheffs wurde kontrovers aufgenommen, der Stücktext jedoch fand einhellig Zustimmung: Es handle sich, so die renommierte "Süddeutsche Zeitung", um das "wichtigste und vielleicht beste Stück" des Schriftstellers, der in der Vergangenheit verlässlich eindrucksvolle Beweise seiner Streitbarkeit lieferte.

Handkes Suche nach seinen Vorfahren

"Immer noch Sturm" ist die literarisierte und dramatisierte Suche Handkes nach seinen Vorfahren, slowenische Kleinbauern in Kärnten, in dem Stück koppelt er die Familienerkundung mit der Historie der Partisanenbewegung.

Die Kärntner Slowenen leisteten im Zweiten Weltkrieg erbitterten Widerstand gegen das Nazi-Regime: Von Kämpfen in den Wäldern, vom Leid der Hinterbliebenen, von brutaler Verfolgung der Partisanen erzählt dieses Stück. Mit dem Thema betritt Handke politisch heikles Terrain: Nach Kriegsende war der verlustreiche Kampf der Aufständischen ein wichtiges Argument für die Alliierten, um Österreich schließlich die Souveränität zu gewähren - bis heute erfuhr der Widerstand der Partisanen jedoch keine offizielle Würdigung. Im Nachkriegs-Österreich wurde die slowenische Minderheit vielmehr unter Assimilierungsdruck gesetzt, ihr verbrieftes Recht auf zweisprachige Ortstafeln bis in die allerjüngste Vergangenheit verwehrt.

In "Immer noch Sturm" modelliert Handke aus zwei Brüdern seiner Mutter Mitglieder der Partisanen, was sie in Wahrheit nicht waren. Dem Autor geht es dabei nicht um private Heldenmythen, sondern um das - vom Autor äußerst gekonnt bewerkstelligte - Ineinanderfließen von Privatem und Politischen. "Man spürt förmlich, dass Handke diese Geschichte erzählen muss", so der Schauspieler Jens Harzer jüngst in einem Interview. Harzer wird in Wien als Ich-Erzähler, Handkes Alter Ego, zu sehen sein und als eine Art Spielleiter durch den Abend führen.

Prosadichtung ohne vorgegebene Dialoge

"Immer noch Sturm" ist, formal betrachtet, eine 160 Seiten umfassende Prosadichtung ohne vorgegebene Dialoge, Regieanweisungen und linearer Figurenentwicklung. Die Konventionen eines Wellmade-Plays haben für Peter Handke, Jahrgang 1942, ohnehin nie Gültigkeit besessen.

Sein Bühnendebüt mit dem umstrittenen Sprechstück "Publikumsbeschimpfung" feierte Handke vor 45 Jahren, die Uraufführung geriet seinerzeit zur Theatersensation und verhalf dem Jungautor zum Durchbruch. Geradezu planmäßig regten in Folge die Theaterarbeiten des gebürtigen Kärntners auf, Handke war der Dramatiker der Stunde.

1981 landete er mit dem dramatischen Gedicht "Über die Dörfer" bei den Salzburger Festspielen einen veritablen Flop. Es folgte eine mehrjährige Bühnenabstinenz des Autors, die erst durch Claus Peymanns Uraufführung von "Das Spiel vom Fragen" im Jahr 1990 gebrochen wurde, drei weitere Handke-Arbeiten an der Burg folgten; die Theater-Zusammenarbeit von Peymann und Handke ging auch nach dem Wechsel des Intendanten ans Berliner Ensemble nahtlos weiter. 2003 war dort mit "Untertagblues" erneut ein Wut-Monolog zu sehen, der in einem Punkt Ähnlichkeit mit "Immer noch Sturm" aufweist: Hier wie da mündet Handkes Theaterpoesie im Aufstand gegen die sogenannte Wirklichkeit.

Zitat aus "Immer noch Sturm": "Ihr Heutigen habt so viel mehr Zeit als wir Damaligen und macht so viel mehr Unsinn."