Wieder in Amt und Würden:


Furlanetto.
Wieder in Amt und Würden:

Furlanetto.

Wien. Eigentlich wollte er die Oper ja auch in Übersee so singen. Aber San Diego winkte ab: "Boris Godunow" ohne Pause? "In Amerika", erzählt Ferruccio Furlanetto von der Abfuhr, "muss man offenbar Champagner servieren und die Leute auf die Toilette lassen".

Der Paradebass darf sich trösten. Denn er singt die Titelrolle der Mussorgski-Oper nun doch wieder einmal pausenlos in der knappsten aller möglichen Fassungen, nämlich im "Ur-Boris" von 1869 - und das an der Wiener Staatsoper. Ein Novum am Haus, denn die Neuproduktion vor fünf Jahren bescherte eine eigenwillige Promenaden-Mischung aus Erst- und Zweitfassung (1872). Mühten sich zaghafte Schnitte danach um Optimierung, hat man sich nun zur Radikalreform ermannt: Seit Freitag schnurren die sieben Bilder des "Ur-Boris" in rascher Folge (wenngleich weiterhin in der nicht eben viel gelobten Regie von Yannis Kokkos) über die Bühne.

Ein Tempo, das den Sängern kaum Zeit lässt, zwischendurch in der Garderobe zu verschwinden, erzählt Furlanetto. Aber: "Die Spannung, die da erzeugt wird, entlädt sich am Ende mit Kraft in der Todesszene des Boris."

Darum kann der Bass auch einen Wermutstropfen schlucken - den Verzicht auf einen imposanten Monolog. Den gibt’s nämlich nur in der Zweitfassung, die Mussorgski vor allem um eine weibliche Hauptfigur angereichert hat. Ganz freiwillig ist das nicht geschehen: Das Mariinski-Theater hatte ihm das geradlinige Original seinerzeit zurückgeschmissen. Zum Versionen-Wirrwarr trugen dann aber auch Kollegen bei, indem sie "verbesserte" Orchestrierungen vorlegten. Furlanetto, in jedem "Boris" firm: "Die Fassung von Rimski-Korsakow ist nett. Aber er schleift die Kanten von Mussorgski, dessen Größe damals nicht verstanden wurde." Apropos Kanten: Die hat ja auch Boris, dieser von Macht und Gewissenspein zerrissene Zar. Ist er Täter oder Opfer? Furlanetto, der den Leidensdruck des Herrschers so volltönend wie charismatisch zu veräußern weiß, plädiert für Letzteres. Und, wer weiß: Womöglich ist ja der Intrigant Schuiski für den Tod des Zarewitsch verantwortlich, der Boris hartnäckig im Kopf herumspukt.

"Chowanschtschina" in Wien - aber ohne Furlanetto


Ob im Kopf des italienischen Basses, der seit den 80ern auf führenden Bühnen heimisch ist, noch eine Traumrolle herumspukt? Eine gäbe es schon, sagt der 62-Jährige und denkt abermals an Mussorgski - nämlich an die Rolle des Iwan Chowanski in der selten gespielten "Chowanschtschina". Tatsächlich habe die Wiener Staatsoper bei ihm angefragt, ob er die Rolle bei einer künftigen Aufführung unter Dirigent Semyon Bychkov singen wolle. Nur leider hat Furlanetto für den (noch nicht präsentierten) Termin keine Zeit.

Seine Zeit nutzt Furlanetto auch gern für eine Disziplin, die angesichts seiner Schallmacht erstaunt - nämlich Kammermusik. Erst im Vorjahr hat er Schuberts "Winterreise" auf CD veröffentlicht. Ist die intime Musik für seine Riesenstimme nicht problematisch? "Musikalisch ist das nicht fordernd", sagt er, "aber mental. Man muss die richtigen Farben für die Musik finden." Überhaupt will er mehr Recitals geben: "Es ist schön, ab und zu die Opernwelt zu verlassen und etwas so Delikates zu machen."

Sehr selten arbeitet der Italiener dagegen in seiner Heimat - um deren schuldengeplagte Opernhäuser er sich sorgt. Wobei die Schulden auch hausgemacht seien: "Viele Häuser waren früher mehr soziale Einrichtungen als Theater - die Leute hatten Rechte, aber keine Pflichten." Und außerdem hätte man Neuproduktionen vier-, fünfmal gespielt und dann einfach entsorgt. "Ich denke, viele Häuser werden zusperren müssen und dann wieder bei null beginnen. Traurig, aber so ist es."