
Dieser Abend hinterlässt Spuren: Manches irritierende und schonungslose Bild drängt sich auch am Tag danach vor das innere Auge, manche Bewegungssequenzen rufen noch immer ein Kopfschütteln des Unglaubens hervor, grenzten sie doch an das Unpraktizierbare. Oder man stellt sich gar die Frage, inwieweit diese Performer noch menschlich waren. Das waren sie vorgeblich auch nicht: Cupidos hießen sie auf der Bühne.
Der kanadische Choreograf Dave St-Pierre ist als Provokateur bekannt. Seine mit Donnerstagabend finalisierte Trilogie ("La Pornographie des âmes" und "Un peu de Tendresse bordel de Merde!") über die menschliche Oberflächlichkeit, ihre Defizite und über den Menschen an sich, feierte im Tanzquartier eine bejubelte Wiener Erstaufführung - eine Altersempfehlung von mehr als 18 Jahren lockte wohl auch so manch unüblichen Tanzquartier-Besucher in die Halle G.
Nacktheit und Schmerzen
Dabei treibt St-Pierre in seiner schlicht benannten "New Creation" seine Tänzer - meist in unaufgeregter Nacktheit - über die Schmerzgrenze ins Extreme und macht die Unmittelbarkeit der Körper in praller Wucht erlebbar. Ein Haufen wild gewordener Liebesengel zeigt etwa lauthals "this is how we fall in love": Sie schmettern ihre Körper ungebremst auf den Boden oder auf einen der wenigen Tische. Ihre Flügel lassen Federn, ihr doch so menschliches Fleisch klatscht beim Aufprall. Allein schon dieses Geräusch ruft beim Zuseher Schmerzen hervor. Und darum geht es auch hier: Engel, die sich und anderen unaufhörlich körperlich oder emotional Schmerzen zufügen. Im Mittelpunkt stehen eine junge Frau und ein junger Mann - ihre Duette überschreiten die Grenzen der Schwerkraft -, die von der Heerschar Cupidos sekkiert werden. Und da fließt schon einmal haufenweise Blut und Erbrochenes.
Selbstverständlich darf bei den Liebesengelchen auch Sex nicht fehlen: In einer humorvollen Therapiesitzung, die allzu menschliche Probleme der Amoretten preisgibt, muss schließlich auch ein Zuseher herhalten: Mit Gummipuppe Sweet Sandy werden Sexualpraktiken demonstriert.
Religiöse Metaphern ziehen sich durch den Abend, erinnern an die Schöpfung als grausames Spiel der Emotionen und Körper - in eindringlichen poetischen, aber auch irritierenden Bildern mithilfe schlichter Bühnenmittel fließen hier Schweiß und Tränen.