
Kühl und rasant, sinnlich und emotional, temporeich und klar strukturiert sowie, naja, sagen wir einmal, windig: Vier Stücke - vier Sichtweisen über zeitgenössisches Ballett, zu einem Abend aneinandergefügt. "Tanzperspektiven" lautet der Titel der Produktion, die am Mittwoch an der Wiener Staatsoper Premiere feierte. Der Brite David Dawson, die US-Amerikanerin Helen Pickett, der Franzose Jean-Christophe Maillot und der Deutsche Patrick de Bana zeigen, dass das Ballett des 20. und 21. Jahrhunderts - entgegen weitverbreiteten Vorurteilen - keineswegs altmodisch und langweilig im weißen Tütü daherkommen muss.
Prickelnde Eröffnung
Staatsballett-Chef Manuel Legris wollte im Vorfeld sein Ensemble "in einem neuen Licht" erscheinen lassen, sodass es prickle wie Champagner. Dementsprechend knallt der Korken: Das fast schon als Bewegungsvöllerei zu bezeichnende "A million kisses to my skin" von David Dawson eröffnet fulminant den Abend. Frei nach dem Motto "das Tänzerleben ist kurz, es gibt keine Zeit zu verlieren" schwebt Erste Solistin Olga Esina in hellblauem schlichten Trikot zu Johann Sebastian Bachs Klavierkonzert in d-Moll über die leere Bühne. Vladimir Shishov weiß die zierliche, aber extrem ausdauernde Tänzerin zu partnern. Weißer Tanzboden sowie dunkle Gassen und Vorhang sind genug der Szenerie, denn alles andere würde von dem puristischen Feuerwerk an asymmetrischen und frei fließenden Bewegungen ablenken. Posieren ist hier Zeitverschwendung. Dementsprechend schwierig ist es für die Tänzer, durchzuhalten.
Sprudelnd vor Erotik ist dann Helen Picketts neuerarbeitetes "Eventide". Pickett entführt mithilfe einer Mischung aus Stücken von Philip Glass, Jan Garbarek und traditioneller östlicher Musik - etwa vom kürzlich verstorbenen Ravi Shankar - in ein sinnliches, in Rot getauchtes Tanzuniversum. Silberne Trikots mit kessen roten Röckchen (Kostüme: Charles Heightchew) unterstreichen die feminine Aura der Performerinnen - allen voran Ketevan Papava. Für András Lukács scheint das Bewegungsrepertoire, nämlich klassische Linien erweitert mit Körperbewegungen in Kurven und Schwüngen gepaart mit erotischen Elementen, so natürlich wie für andere das simple Atmen.
Bereits leicht beschwipst vom Bewegungsüberfluss geht es zu "Vers un pays sage" von Jean-Christophe Maillot, Direktor der Ballets de Monte-Carlo. Mit seiner strengen choreografischen Struktur basierend auf der Komposition "Fearful Symmetries" von John Adams, spiegelt er bewusst deren repetitive Muster. Maillots Hommage an seinen Vater, den Maler Jean Maillot, ist geprägt von klaren Linien, die den Blick auf seinen puren Stil schärfen. Die Bewegungen von Olga Esina mit Roman Lazik sowie Irina Tsymbal mit Denys Cherevychko sind dabei stetig im Fluss. Farbige Lichtspiele unterstützen die Impressionen einer - trotz inszenatorischen Minimalismus - barocken Tanzwelt.
Ernüchternder Abschluss
Ernüchternd wirkt dann das abschließende Werk des Abends: Patrick de Banas eigens für die Wiener Kompanie kreierten "Windspiele". Zum Violinkonzert von Peter I. Tschaikowski versucht
Kirill Kourlaev, Erster Solotänzer, ausdrucksstark und präsent, dem Stück Leben einzuhauchen. Es bleibt aber bei einem Ballett der Disharmonien auf allen Ebenen: Das Zusammenspiel von Musik, Choreografie, Bühnenbild, Kostüme und letztlich Titel ist nicht nachzuvollziehen. Umso mehr fasziniert Soloviolinist Rainer Küchl unter dem mit vollem Körpereinsatz dirigierenden Markus Lehtinen - nachdem die vorangegangenen zwei Stücke vom Band tönten.
Ballett
Tanzperspektiven
Von David Dawson, Helen Pickett, Jean-Christophe Maillot und Patrick de Bana
Wiener Staatsballett/Staatsoper
Wh.: 20. und 23. Februar sowie 3., 21. und 26. März