"Wiener Zeitung": In Ihrem jüngsten Stück "Aus Liebe", das am 16. Mai in der Josefstadt uraufgeführt wird, kommt es innerhalb einer Familie zu einer grausamen Bluttat. Warum passieren so schreckliche Dinge aus Liebe?
Peter Turrini: Eine denkbare Möglichkeit besteht darin, dass Menschen, die in einer Liebesbeziehung zu Mördern werden, eine falsche Vorstellung von Liebe haben. Sie verwechseln den geliebten Menschen mit einer Art Besitz, sie erwarten die hundertprozentige Auslieferung, da auch sie zu einer solchen bereit sind. Wenn dieser Besitz zurückgezogen wird, entsteht eine unvorstellbare Kränkung, die - besonders bei Männern - mit Gewalt beantwortet wird.
Das Stück rekonstruiert den Tag, an dem ein unbescholtener Mann zum Mörder wird, es sind nur Momentaufnahmen, aber man fragt sich angesichts der Alltagskatastrophen: Warum sind die Menschen so, wie sie sind?
Vor allem sind die Menschen nicht so, wie sie erscheinen, wie wir sie für uns zurechtgelegt haben, und das gilt auch für uns selbst. Hinter unseren Alltagsgesichtern verbergen sich Abgründe, größere und kleinere. Manchmal fällt ein Mensch in einen solchen Abgrund, tötet einen anderen und ist nachher voller Erschrecken über sich selbst. Ich habe mit Mördern gesprochen, die ihre eigenen Taten fassungslos kommentieren, indem sie sie auch nicht verstehen können. Vieles, zu vieles kann in ein und derselben Seele wohnen.
Eine Figur namens "der liebe Gott" tritt auf, warum wird Gott auf der Bühne und im Film so oft als liebenswerter, aber völlig machtloser alter Mann porträtiert?
Der liebe Gott, vor allem der christliche, der zu unserer Kultur gehört, ist ja inzwischen auf dem Markt der Gläubigkeit unter größten Druck geraten. Die meisten Menschen zimmern sich einen Gott nach Belieben zusammen: Ein bisschen katholisch, ein bisschen agnostisch, ein bisschen indisch, und das Ganze mit einer Prise Esoterik. Wenn die Katholiken in dieser Gläubigkeitsmelange eine Chance haben wollen, müssen sie auffällig werden, alles tun, damit sie im Ranking vorne bleiben. Wenn ihre Spitzenkräfte nicht ab und zu ein paar Alumnen vernaschen, kommen sie ja gar nicht mehr vor. Der liebe Gott ist zwar noch da, aber wirklich ernst nimmt ihn kaum noch jemand.
Glauben Sie selbst an Gott?
Ich war ja als Kind Ministrant und hatte noch einen sehr dominanten Gott über mir. Bei jeder Unkeuschheit blickte er durch die Oberlichte der Klosetttüre und drohte mir mit Rückenmarkschwund. Einen solchen Gott wird man ja lebenslänglich nicht los. Im Grunde meines Herzens bin ich ein verpatzter Katholik und fürchte mich noch immer vorm lieben Gott. Sichtbarster Ausdruck dieser Furcht ist die Tatsache, dass ich Kirchensteuer zahle, bis heute. Ich bin einfach zu feige, aus der Kirche auszutreten, der liebe Gott könnte sich ja an mir rächen.
Welche Rolle soll die Kirche heute noch spielen?
Den Papst möglichst oft wechseln. Kaum war der Ratzinger in Pension und der neue Papst gefunden, ging ein Staunen um den Erdball: Der Neue ist ein netter, älterer Herr, der lieber schwarze Schuhe trägt statt rote. So etwas sollte man ausnutzen und dafür sorgen, dass möglichst jedes halbe Jahr ein neuer Papst kommt. Früher hat man den Wechsel durch Vergiftung herbeigeführt, vielleicht müsste man heutzutage den Pensionsanreiz für Päpste erhöhen.
Die Trauer um einen verstorbenen Ehemann ist ein weiteres Thema im Stück, denken Sie selbst über den Tod nach?
Ja, aber ich komme auf keinen grünen Zweig. Ein Schriftstellerleben lang kämpfe ich gegen alles an, hänge ich meinen Theaterfiguren alles Glück und Unglück der Welt um, aber was soll ich mit dem Tod machen? Selbst wenn in den meisten meiner Stücke etliche Figuren am Ende tot auf der Bühne liegen, ist die Sache im wirklichen Leben nicht erledigt, er ist noch immer da.
Macht Ihnen das Alter Angst?
Es irritiert mich, es ist eine Zumutung. Ich bin es gewohnt, mein Leben und meine Arbeit ohne Rücksicht zu betreiben und plötzlich treffe ich ein paar Ärzte, die mir ein vernünftiges Verhalten vorschlagen. Solche Vorschläge tun wirklich weh.
Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger wird erneut Ihr Stück zur Uraufführung bringen, wie wünschen Sie sich generell den Umgang der Regisseure mit Ihren Stücken?
Meine Haltung dazu ist ganz einfach: Regisseure dürfen alles, außer in meine Texte hineindichten. Ich kämpfe oft monatelang mit jedem Satz, mit jedem Wort, bis ich ein Stück hergebe. Die Sprache ist mein Beitrag zum Theater und wenn dieser Beitrag missachtet wird, weil umgeschrieben wird, umgestellt wird, andere Texte hineincollagiert werden, dann ertrage ich das einfach nicht. Ich finde es vollkommen in Ordnung, dass ich niemals auf der Bühne sehen werde, wie ich mir die szenische Umsetzung ausgedacht habe. Dafür sind die anderen zuständig, der Regisseur und die Bühnenbildner und die Kostümbildner. Aber die Worte bringe ich ins Haus. Herbert Föttinger respektiert das und deshalb arbeiten wir jetzt seit beinahe acht Jahren zusammen.
Warum ist es Ihnen inmitten der allgegenwärtigen postdramatischen Tendenzen so wichtig, an der Struktur des Dramas festzuhalten? Fühlen Sie sich in Ihrer Zunft noch zu Hause?