Wo auch immer Romeo Castelluccis jüngste Theaterarbeit "Sul concetto di volto nel Figlio di Dio" ("Über das Konzept des Angesichts von Gottes Sohn") zu sehen ist, da scheint Aufregung vorprogrammiert. Der Vatikan kritisierte, wenig überraschend, bereits die Uraufführung 2010; bei einem Gastspiel in Paris kam es zu so heftigen Protesten, dass die Aufführung unter Polizeischutz stattfinden musste, auch in Berlin und Mailand gab es öffentlich geäußerte Unmutskundgebungen.
In Wien hätte es anders kommen können, hatte doch im Vorfeld der umtriebige Dompfarrer Toni Faber einem Künstlergespräch mit dem italienischen Theatermacher zugestimmt. Bei der Premiere im Burgtheater kam es dann doch zu Störversuchen von Teilen des Publikums. Nach Ende der Aufführung wurden am Ausgang Zettel verteilt, in denen der vermeintliche "Christenhass" der Aufführung angeprangert wurde. Was war in der knapp 60-minütigen Aufführung los?
Mit Darstellungswucht
Alles fängt ganz harmlos an. Ein alter Mann und sein Sohn vor einem TV-Gerät. Just als der Jüngere sich verabschieden will, merkt dieser, dass sein pflegebedürftiger Vater die Windeln voll hat. In routiniert-fürsorglicher Manier säubert der Junge den Alten, vor aller Augen. Kaum ist er damit fertig, setzt, unüberhörbar, ein neuerlicher Anfall von Diarrhö ein - die Reinigungsaktion beginnt von vorne. Als der Gebrechliche seinen Darm schließlich ein weiteres Mal nicht kontrollieren kann, wird die Bühne regelrecht mit Kot geflutet. Aus einem Kanister ergießt sich geradezu sturzbachartig das braune Übel.
Und der Sohn? Ergreift blinde Verzweiflung. Zuflucht vor der ungustiösen Flut findet er vor einem Bildnis, einem Jesus-Porträt des Renaissance-Malers Antonello da Messina, das überlebensgroß während der ganzen Spielzeit im Bühnenhintergrund zu sehen ist.
Auf dem Podium läuft die Vorstellung da noch immer dezidiert ruhig, geradezu bedächtig ab. Die knappen Dialoge zwischen Vater und Sohn werden nicht aus dem Italienischen übersetzt, die meiste Zeit über wimmert und weint der Kranke. Plötzlich ändern sich Tempo und Temperatur, der fürsorgliche Gleichmut kippt in Wut, es ist auch bald nicht mehr still, vielmehr herrscht dann ohrenbetäubender Lärm.
Eine Gruppe von Schulkindern tritt auf. Die Eleven bewerfen das Antlitz Christi mit Handgranaten. Buh- und Schmährufe ("Weg damit") setzen im ersten Rang ein, dauern minutenlang an, bis anschwellender Sound aus den Lautsprechern die Störversuche übertönt. Mit der Demontage der ikonografischen Jesus-Darstellung endet die Aufführung. Demonstrativ heftiger Schlussapplaus.
Religion, Vater-Sohn-Beziehung, Alter: "Über das Konzept des Angesichts von Gottes Sohn" versammelt Romeo Castellucci Kernthemen - die Arbeiten des norditalienischen Regisseurs sorgen regelmäßig für Aufregung.
Wer ist Castellucci?
Anfang der 1980er gründete der Künstler das Theaterkollektiv Societas Raffaello Sanzio, seit damals ist der heute 53-Jährige zu einer Fixgröße der europäischen Bühnenavantgarde avanciert; inspiriert vom Reduktionismus des antiken Dramas und Antonin Artauds Überlegungen zum Theater der Grausamkeit, hat Castellucci eine bild- und klanggewaltige Bühnenästhetik entwickelt, die weitgehend ohne Dialoge auskommt und dabei enorm suggestiv wirkt. In Wien war er wiederholt bei den Festwochen zu Gast, zuletzt mit "Purgatorio" (2009).
Seine jüngste Arbeit punktet nun als hyperrealistische Versuchsanordnung über die Hinfälligkeit des Alters. Das Bühnespiel kehrt als formal beeindruckendes Tableau das Vater-Kind-Verhältnis um - und offenbart so die fundamentale Hilflosigkeit mit dem Thema: Der Vater wird zum Bedürftigen, der Sohn ist angesichts des körperlichen Verfalls des Erzeugers völlig machtlos.
Der stilisierte Granatenkampf bringt das Hadern mit dem Schicksal assoziativ auf die Bühne. Dadurch mag Castelluccis Stück eine ungestüme Abrechnung mit der conditio humana sein. Blasphemie? Keine Spur.