With or without you: Julia Bernat und Rodrigo dos Santos im Liebes-Sozialdrama. - © Marcelo Lipiani
With or without you: Julia Bernat und Rodrigo dos Santos im Liebes-Sozialdrama. - © Marcelo Lipiani

Es beginnt als Breitwandfilm: Ein strahlend blauer Himmel spannt sich über eine Sommerwiese, ein Mädchen tollt übermütig umher, spielt Ball, übt sich im Schnurspringen, füttert Fische. Die kleine Julia aus Rio de Janeiro hat es gut getroffen: Sie gehört zur weißen Oberschicht.

Wenig später wird die herangewachsene Julia die Bühne betreten: eine bezaubernde Kindfrau, die ihr Frühlingserwachen erlebt. Die brasilianische Regisseurin Christiane Jatahy erzählt ihre Geschichte, ausgehend von den Beziehungskonstellationen in August Strindbergs naturalistischem Trauerspiel "Fräulein Julie".

Die Adaption des Strindberg-Textes wird zur aktuellen Diagnose der brasilianischen Gesellschaft. Anliegen der Theatermacherin war es, wie im Programmfolder nachzulesen ist, am Beispiel dieser Frau die subkutan weiterwirkenden, durch die großen sozialen Unterschiede bedingten Vorurteile "an die Oberfläche" zu holen. Die Realität sieht so aus, dass die Oberschicht nach wie vor "billige Dienste der Angestellten (mehrheitlich Schwarze oder Mestizen)" in Anspruch nehmen kann.

Der Lakai Jean von Strindbergs aristokratischer Julie wird bei Jahaty folgerichtig zu Jelson, Sohn des Gärtners, den Welten von der verwöhnten Julia trennen, auch wenn sie in der Kindheit Spielgefährten waren.

Mediale Verfremdung


Christiane Jahaty lässt dieses Konzept keineswegs plakativ spielen, sondern setzt es auf kunstvoll verschachtelten Ebenen sensibel und mitreißend um.

Die raffiniert einfache Theaterbühne decouvriert sich als nicht weniger raffiniertes Film-Set (Bühne: Marcelo Lipiani). Julia (Julia Bernat) und Jelson (Rodrigo dos Santos) sind meisterhafte Akteure, die, vor Augen des Publikums vor der Live-Kamera von David Pacheco den Film "Julia" drehen, so dass Details ihres Spiels zeitgleich auf der (verschiebbaren) Leinwand hervorgehoben werden. Als Ergänzung zum Live-Spiel werden stellenweise vorab gedrehte Episoden eingeblendet. Trotz dieser medialen Verfremdung schlägt der Verlauf dieses Zueinanderfindens zweier Menschen, das von Beginn an ein Auseinanderdriften ist, unmittelbar in Bann: Begehren, utopische Sehnsucht nach Zärtlichkeit, sprachliche, in Handgreiflichkeiten ausufernde Verletzungen, Verzweiflung, Brutalität bis hin zur Bedrohung und Fluchtversuche werden in gekonnter Steigerung ausagiert. Bis hin zum überraschenden Ende.

Erschöpft und irgendwie ratlos nimmt das Paar nach getaner Schauspielerarbeit auf zwei Stühlen Platz und wendet sich frontal ans Publikum. Die Julia-Darstellerin entledigt sich ihrer High Heels und überlegt: Bei Strindberg begeht sie Selbstmord - aber: "What about me?"