Emmanuelle Seigner avanciert in der Männerbande zum sexuellen Gravitationszentrum. - © Festwochen
Emmanuelle Seigner avanciert in der Männerbande zum sexuellen Gravitationszentrum. - © Festwochen

In Paris war "Le Retour" die Einstandsinszenierung als neuer Spielleiter des Odéon Theatre, in Wien ist sie nun das Abschiedsgastspiel des langjährigen Festwochen-Indentanten: Luc Bondys schillernd-schäbige Fassung von Harold Pinters frühem Meisterwerk "Die Heimkehr".

Die Londoner Uraufführung anno 1965 geriet zum Schocker. Obwohl es der Theatergeschichte an absonderlichen Mann-Frau-Beziehungen wahrlich nicht mangelt, wirkte die bizarr-verdrehte Konstellation damals gänzlich neu. Zunächst erinnert die Handlung von "Heimkehr" an die biblische Geschichte des verlorenen Sohnes: Der Erstgeborene kehrt nach Jahren der Abwesenheit - er hat in den USA Karriere als Philosophie-
Professor gemacht und heimlich geheiratet - unerwartet in Begleitung seiner jungen Frau nach Hause zurück. Die verwahrloste Behausung, die Bühnenbildner Johannes Schütz gebaut hat, erinnert an sozialen Wohnbau, zeigt deutliche Spuren der Zerstörung. Loch in der Wand, Brandflecken: ein heruntergekommener Männerhaushalt mit Zigarettenkippen, leeren Flaschen, Rockmusik.

Der Vater - Bruno Ganz als zartes Raubein - mag in der Welt draußen ein Niemand sein, in seinem Heim herrscht er dagegen wie ein König, der selbst seine erwachsenen Söhne - Pascal Greggory als spartanischer Freizeit-Boxer, Micha Lescot als undurchsichtiger Strolch - nach Lust und Laune prügelt. Der unerwartete Besuch des verschollen Geglaubten reaktiviert die Familien-Bande, aber nicht die Ankunft des Sohns (Jérome Kircher) wird gefeiert, vielmehr seine Frau von der Sippe umzingelt: Emmanuelle Seigner avanciert als Ruth zum sexuellen Gravitationszentrum.

Bald begrabschen die Brüder die Schwägerin, selbst der Vater kann die Finger nicht von ihr lassen. Während der Ehemann die Übergriffe hinnimmt, verjüngen die rüden Avancen die Frau geradezu. Sinnbildhaft steht dafür ihre Haarpracht: Die biedere Hochsteckfrisur weicht bald einem zerrauften Schopf à la Brigitte Bardot; am Ende trägt die Frau einen mädchenhaften Pferdeschwanz. Sie ist aber nicht das Opfer, keine Sekunde verliert sie die Kontrolle. Sie bleibt die erotische Fantasie, der sich die Männer unterwerfen.

Schließlich unterbreitet der Patriarch Ruth ein unmoralisches Angebot: Sie soll in London bleiben, als Prostituierte Geld verdienen - und der Familie so zu Diensten sein. Ruth stimmt zu, lässt ihren Mann ziehen und diktiert den triebhaften Familienmitgliedern die Bedingungen, die seit je im Geschäft mit der Liebe gelten: Gezahlt wird bar und im Voraus. Das Schlussbild zeigt Bruno Ganz, unerhört zart bettelnd: "Embrassez-moi." Küssen Sie mich. Daraus wird nichts. Die Männerwelt bleibt unerlöst.