Ein recht durchschnittlicher Katholik ist er zu Beginn, der Franz Jägerstätter. Einer, in dem sich noch so mancher wiedererkennt: Reichen sieben schmerzensreiche Rosenkränze im Deal mit dem Herrgott dafür, dass die Wirtshausprügelei mit den "Innviertler Fäusten" noch glimpflich ausgeht, bitte? Oder müssen es 14 sein?
Von Durchschnitt kann bald keine Rede mehr sein: Was das Stück von Felix Mitterer über den Kriegsdienstverweigerer, der ein Seliger werden sollte, vor allem zeigt, ist, wie unerträglich allein dieser Mann gewesen ist, in einer verblendeten und angsterfüllten Masse. Allein mit seiner Klarsicht, allein mit seiner Entscheidung. Durch die er schließlich seine Frau allein gelassen hat: "Du hast ihn umbracht!" - dieser Vorwurf der Mutter an Jägerstätters Ehefrau sind die ersten Worte, die auf der Bühne fallen, nachdem Franziska die Nachricht von der Hinrichtung vorgelesen hat.
Franziska ist immer da
Dieser Vorwurf an die "Betschwester", die den Mann, der vor ihr noch so lebenslustig gewesen war, ins Unglück getrieben haben soll, hielt sich lang. In Mitterers Stück, das am Donnerstag im Theater in der Josefstadt uraufgeführt wurde, bekommt er kaum Argumentationsgrundlage. Gerti Drassl spielt eine Franziska Jägerstätter, die harte Arbeit gewöhnt ist und einem noch härteren Schicksal mit tatsächlicher Gottergebenheit entgegensieht. Sie kann ihren Mann zwar nicht von Anfang an verstehen, etwa wenn er keine Förderungen des NS-Regimes annehmen will. Und sie fragt ihn, ob es christlich ist, wenn er nichts für das "Winterhilfswerk" spendet und zynisch kommentiert: "Fürs Leut’ Erschießen muss man sich warm anziehen." Doch sie sieht, dass sie die Einzige ist, die hinter Franz stehen muss. Die Regie von Stephanie Mohr löst das simpel, aber effektiv: Franziska lässt Franz auf der Bühne nie allein, in seinen schwersten Stunden ist auch sie zu sehen: auf einem Balkon unter Kreuz und Krickerl, mit Erdäpfelschälen oder Wäscheaufhängen beschäftigt. Mitterers "Jägerstätter" arbeitet viel mit dem Briefwechsel zwischen den beiden, verzichtet aber auf allzu fromme Passagen. Das ist für die Süffigkeit des Stücks förderlich, zeichnet aber mitunter ein gar modernes, intellektuelles Bild des Mannes, das aber die Bodenständigkeit von Gregor Bloébs Darstellung wieder relativiert. Mitterer macht die Gruppen, von denen sich Jägerstätter abhebt, ob es nun Kollegen im Bergwerk sind oder die opportunistische Dorfgemeinschaft, zum Chor. Das hat aber zur Folge, dass das solide spielende Ensemble um Michael Schönborn (Ortsgruppenleiter) und Elfriede Schüsseleder (Jägerstätters Mutter) hinter dem Duo Drassl/Bloéb im Fokus zurücktritt.
Mitterer reißt viele Aspekte an, ohne das Stück zu überfrachten. Er demonstriert die unendliche Interpretationsgeduld der Bibel. Als erst Jägerstätters Pfarrer ihm vorhält, er missachte das vierte Gebot, wenn er seine Kinder im Stich lasse. Worauf Jägerstätter kontert: "Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert." Die Verständnislosigkeit für die Entscheidung des Familienvaters wächst noch mehr, als er auch dann nicht widerrufen will, nachdem er ein Foto von seinen Kindern erhalten hat, die auf ein Leintuch die Worte "Lieber Vater, komm bald" gemalt haben.
Ein Martyriumsfetischist?
"Ich bin ja ganz zerrissen", gesteht er dem Bischof von Linz, doch die Institution Kirche kann ihm nicht mehr helfen - der Bischof hält ihn ja für einen Martyriumsfetischisten. Sein Nazi-Pflichtverteidiger sagt ihm rundheraus, dass Menschen, die so treu eine Gesinnung verteidigen, für die Front eigentlich optimal seien. Er ist es auch, der Jägerstätter damit locken will, ihm einen "sinnlosen Tod" zu ersparen. Die grausame Ironie ist, dass die Rettung ihm nur einen anderen sinnlosen Tod bringen würde.
Das führt unvermeidlich zum Unverständnis und Unbehagen, dass ihm aus dem Dorf und von allen anderen entgegengeschlagen ist: Der Schmerz derer, die im Krieg bereits Mann, Vater, Sohn verloren hatten und die durch Jägerstätters Argumentation in ihrer Trauer beleidigt wurden: "Warum sprichst du unseren Söhnen die Ehre ab?" Am Ende dieses Stücks wird sich also kaum einer, Katholik oder nicht, in diesem Jägerstätter wiedererkennen. Aber man hat einen kleinen Eindruck davon, wie viele Ebenen "Sinnlosigkeit" haben kann.
Theater
Jägerstätter
Theater in der Josefstadt
ab 3. 7. Theatersommer Haag,
ab 14. 9. wieder in der Josefstadt