Zwischen Anarchie und Ordnung: Der deutsche Regisseur Elmar Goerden, 50, inszeniert erneut am Theater in der Josefstadt. - © Foto: A. Urban
Zwischen Anarchie und Ordnung: Der deutsche Regisseur Elmar Goerden, 50, inszeniert erneut am Theater in der Josefstadt. - © Foto: A. Urban

"Wiener Zeitung":Thomas Bernhard hat sein Stück "Vor dem Ruhestand", das Sie im Theater in der Josefstadt inszenieren, als sein bestes bezeichnet. Wie beurteilen Sie das Werk?

Elmar Goerden: Es nimmt in Bernhards Gesamtwerk mit Sicherheit einen exponierten Rang ein und gehört mithin zum Finstersten, was er geschrieben hat. Es ist ein unheimliches Stück. Naturgemäß, würde Bernhard sagen.

Im Stück feiern drei Geschwister im privaten Rahmen alljährlich Himmlers Geburtstag. Der Protagonist Rudolf Höller, ein ehemaliger NS-Grande, der seine Karriere in der Nachkriegszeit nahtlos fortsetzen konnte, schlüpft dabei in seine alte SS-Uniform und proklamiert Weltanschauliches.

Die Figuren mögen schier Ungeheuerliches von sich geben - sie gleichsam zum Abschuss freizugeben wäre dennoch zu einfach, auch zu langweilig. Bernhard zeigt keine gefühllosen Menschen, er stattet seine Figuren mit humanem Potenzial aus, appelliert an die Empathie und verordnet eine geradezu unausweichliche Nähe. Das macht den Umgang mit den Figuren so kompliziert - sie wirken beinhart und zugleich seltsam berührend. Als Regisseur reizt mich die komplexe Figurenlage bei Bernhards ausgeprägter sprachlicher Präzision.

Die Generation der Täter stirbt langsam aus, verändert dieser Umstand den Umgang mit dem Stück?

Natürlich gibt es inzwischen eine historische Distanz zum Stück. Dennoch ist Bernhards Befund, wie Menschen innerlich verwahrlosen, nach wie vor gültig. Abstrakt formuliert geht es darum, wie man in enger familiärer Konstellation mit dem Wildwuchs aus Schuldzuweisungen und Verstrickungen umgeht.

Bernhard thematisiert auch das Fortleben faschistoider Strukturen in der Nachkriegsgesellschaft. Wie gegenwärtig ist dieser Aspekt?

Allgegenwärtig, bedauerlicherweise. Bei den Proben mussten wir feststellen, dass sich bestimmte Denkmuster festgesetzt haben und keineswegs auf den Nationalsozialismus allein beschränkt sind - etwa das abfällige Reden über vermeintlich unwertes Leben.

Sie gelten als werktreuer Regisseur, in der Tradition eines Peter Stein oder Dieter Dorn. Sehen Sie sich als deren Erbe?