Im Gala-Outfit für Himmler: Michael Mendl, Sona MacDonald, Nicole Heesters (v. l. n. r.). - © E. Reismann
Im Gala-Outfit für Himmler: Michael Mendl, Sona MacDonald, Nicole Heesters (v. l. n. r.). - © E. Reismann

"Wir verdienen alle das, was wir sind", heißt es einmal in "Vor dem Ruhestand". Das ist ein sehr allgemeingültiger Satz. Naturgemäß, würde Thomas Bernhard vielleicht noch sagen. Am Donnerstag hatte Bernhards Stück über die drei Geschwister, die mit - mehr oder weniger - Hingabe jährlich den Geburtstag von Reichsführer SS Himmler begehen, im Theater in der Josefstadt Premiere. Es ist ein Stück, das - ganz vordergründig - erzählt, wie sich das Nazigedankengut ungehindert in die Jahrzehnte nach dem Krieg retten konnte. Und wie Entscheidungsträger des mörderischen Regimes nach ein bisschen Aussitz-Zeit zu Würdenträgern eines neuen demokratischen Deutschland/Österreich werden konnten. Wie Rudolf Höller, ein Mann, der hunderte Menschen eigenhändig erschossen hat und ausgerechnet als Gerichtspräsident Karriere gemacht hat. Nun steht er kurz vor dem Ruhestand. Das beunruhigt seine Schwestern Vera und Clara, mit denen er in einer krankhaften Ménage à trois zusammenlebt, nicht ohne Grund.

Vergilbte BDM-Erotik


Nicole Heesters spielt Vera, jene Schwester, die ganz auf der Seite des Bruders ist - mitunter sogar im Bett. Im ersten Akt ist sie nicht nur optisch eine gar flotte Rentnerin, eine Frau, der man ansieht, dass sie heute noch Sex haben wird. Vera ist sehr motiviert, die alten Traditionen zu wahren - aus einer Mischung aus Lust und Angst heraus. Heesters spielt sie, BDM-Zopf auf dem, Mitläufertum im Kopf, mit einer munteren Verzweiflung. Sie arbeitet so hartnäckig dran, dass man ihr nicht den Spaß verdirbt, dass man sie eigentlich sympathisch finden muss - bis einem wieder einfällt, dass sie unter Spaß versteht, Fotos von KZs anzuschauen.

Sona MacDonald ist die andere Schwester, Clara, im Rollstuhl und in dieser Konstellation gefangen. Sie teilt die Gesinnung ihrer Geschwister nicht - sie ist Sündenbock, Opfer und resignierte Schicksalsergebenheit in einem. Meistens ist ihr die Verachtung nur am amüsiert-angewiderten Lächeln anzusehen, seltener an den geballten Fäustchen. Sie ist das Objekt der brutalen Zärtlichkeiten ihrer Geschwister. Da bekommt man von der Umarmung schnell Würgemale, da ist ein Streicheln schon einmal ein angedeuteter Schlag. Rudolf ist sehr aufmerksam bedacht darauf, dass auch Clara am gemeinsamen Fotoalbum-Blättern teilnimmt - und stößt die Schwester wiederholt buchstäblich hinein in die Erinnerungen ans Soldatenleben - als noch alles seine Ordnung hatte. Michael Mendl spielt Rudolf Höller mit einer unterschwelligen Bedrohlichkeit, als einen harten, selbstgerechten Mann, der erst so richtig froh ist, wenn er mit seinem alten Gewehr herumspielen kann. Ein Mann, der ein schlechtes Gewissen als Zumutung empfindet und der noch immer unwillkürlich die Hacken zusammenschlägt, wenn er nicht aus Wut wie ein Kind aufstampft.

Das alles spielt sich in einem spießigen Wohnzimmer mit effektvoll verblichener Tapete und schwerer Muttergottes-Statue ab (Bühnenbild: Silvia Merlo und Ulf Stengl) - die Optik erinnert an einen Ulrich-Seidl-Film, die aufflackernden einzelnen Cellostriche als Soundtrack gemahnen wiederum an einen französischen Krimi der 70er. Im ansprechenden Dekor und in der Regie von Elmar Goerden sind die bösen Bernhardschen Tiraden recht alltagstauglich, wenig lyrisch, die Schauspieler sind dabei aber beeindruckend - und pointensicher.

Was ein bisschen auf der Strecke bleibt, ist dann doch das Allgemeingültige. Das, was "Vor dem Ruhestand" von der Ebene des vordergründig historischen Stücks abhebt. Um etwa packend zu zeigen, dass es Widersprüchlichkeiten und blinde Flecken im Denken auch ohne SS-Uniform gibt, wenn man die eigene Bequemlichkeit über alles stellt, um Schuld, Abhängigkeiten und hundsgemeine Zwischenmenschlichkeit heutig zu präsentieren, hätte sich die Regie vielleicht etwas mehr aus der Komfortzone wagen müssen.