Dramatischer geht es nicht mehr. Nicht nur, dass es das tragische Handlungsballett schlechthin ist, verletzt sich auch noch die Erste Solistin im dritten Akt gravierend ihre Wade - hier ist "Schwimmfüßchen" vielleicht angebrachter. Ein Premierenabend des Klassikers "Schwanensee" des Wiener Staatsballetts, dem es am Sonntag an Theatralik nicht mangelte.
"Schwanensee", das ist: weiße Tutus, grazile Tänzerinnen, vier kleine trippelnde Schwänchen, und natürlich die schwarze Kontrahentin, Gut gegen Böse, Liebe, Verrat und Tod. Kaum einem anderen Ballett ist es gelungen, sich ins kulturelle Bewusstsein sogar einiger Generationen einzuprägen. Auch in Wien. Dennoch bedarf es von Zeit zu Zeit eines Liftings: Denn 50 Jahre ist es her, seit Rudolf Nurejew für das Wiener Staatsopernballett seinen "Schwanensee" kreierte - auf Basis des erfolgreichen Originals von Marius Petipa und Lew Iwanow von 1895. Staatsballett-Chef Manuel Legris wählte den Zeitpunkt für eine Neubearbeitung des Klassikers optimal, nach "Don Quixote" und "Der Nussknacker" war es nun die dritte abendfüllende Choreografie des Jahrhundertballettmachers und auch Mentors Legris. Das Ensemble coachte er, sein unermüdlicher Einsatz aus dem Wiener Staatsballett eine Kompagnie mit internationalem Ruf zu gestalten, hat sich gelohnt.
Grazile Schwanenprinzessin
Selten zuvor war das Ensemble so präzise einstudiert, besonders in den schwierigen Szenen der beiden "Weißen" Akte, also zweiter und vierter Akt, in denen die Schwäne ihre Formationen grazil exerzieren. Und mitten unter ihnen: die Schwanenprinzessin Odette, hier: Olga Esina. Die Erste Solistin zeigte neben technischer, selbstsicherer Brillanz auch Charakter. Nicht nur in der herausfordernden Doppelrolle Odette/Odile, also als einerseits zarter, verletzlicher weißer Schwan und andererseits teuflische, schwarze Widersacherin, sondern auch als konsequente, entschlossene Tänzerin. Denn selbst die Verletzung, auf die Staatsopern-Chef Dominique Meyer vor dem vierten Akt das Publikum verwies, hielt Esina nicht davon ab, diese Premiere trotz Schmerzen zu finalisieren.
Aus Esinas Schatten hervorzutreten, ist trotz Nurejews szenischer Aufwertung der Rolle des Prinzen, für Vladimir Shishov schier unmöglich. Zu behäbig wirken seine Sprünge, seine Pirouetten beendet er mit nervösen Hüpfern, ungenau sind seine Beinpositionen. Nichtsdestotrotz ist er in seiner bisherigen Höchstform und gibt einen scheinbar verlässlichen und auch gefühlvollen Tanzpartner für Esina. Optisch ein filmreifes Tanzpaar, das es zwar nicht zum Film, aber in den ORF geschafft hat: Die Premiere wird am 19. Juni im TV zu sehen sein.
Absolut bildschirmkonform präsentieren sich auch das Bühnenbild und die Kostüme von Luisa Spinatelli: Vorbei sind die Zeiten der überladenen Bühnen und kitschigen Kostüme. Heute dominieren fließende Stoffe, die dennoch weder die Tradition dieses Balletts noch den meist übersehenen Zusammenhang mit Ludwig II. und Schloss Neuschwanstein, nicht vermissen lassen. Der Bayern-König soll ja für Peter I. Tschaikowski als Inspirationsquelle für dieses symphonische Meisterwerk gedient haben. Alexander Ingram gelang passend zu seinem Staatsoperndebüt und zum märchenhaften Abend, ein gefühlvolles und professionelles Dirigat für den Tanz.