
"Wenn die Wahrheit zu schwach ist, sich zu verteidigen, muss sie zum Angriff übergehen", heißt es bei Bert Brecht. Brett Bailey, Theatermann aus Südafrika, scheint sich diesen Spruch auf die Fahnen geheftet zu haben. Als kritischer Geist konfrontiert er Europa mit seiner schuldhaften Verstrickung in das Leid Afrikas. Das Joch der Sklaverei sei mitnichten abgeschüttelt. "Die Kolonialherren von heute sind die großen Multis und die Regierungen, die daran verdienen", sagt Bailey. Als Stachel im Fleisch des Wohlstands ist er bei den Wiener Festwochen längst berüchtigt. Besonders provokant seine Aktion im Jahr 2010: Mit Verweis auf die "Menschenschauen" scheinbar vergangener Zeiten steckte er namibische Staatsbürger im Völkerkundemuseum hinter Glasscheiben.
Grausiges Augenfutter
Heuer streut er weniger Salz in die Wunde, die Botschaft aber bleibt eindeutig. Der Globalisierungskritiker schlägt nun als Opernregisseur zu: Er versetzt Macbeth, diesen blutrünstigen Emporkömmling des Giuseppe Verdi, in den Kongo. In den dortigen Kriegen sind seit 1994 zwischen drei und fünf Millionen Menschen gestorben, noch heute ist der Osten des Landes ein Schlachtfeld. Wie könne es sein, fragt Bailey, dass Europa diesem größten Blutbad seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kaum Aufmerksamkeit schenkt?
Also stellt er sie her. Dass seine Mittel plakativ sind, frommt dem Zweck: Statt Harnisch tragen Verdis Soldaten nun Sonnenbrille, Barett und Patronengürtel; drei Krawattenträger sind - trotz ihrer Gesichtsmasken - die erkennbaren Profiteure jener Bodenschätze, die unsere Handys so smart machen. Und die bunt gekleideten Frauen sprechen ohnehin für sich: Sie beklagen den Leichenberg, auf dem Kommandant Macbeth und seine First Lady ihre Macht befestigt haben. Im Odeon-Theater thront der Despot - er wird letztlich durch einen Machetenhieb sterben - auf einer plumpen Plattform in der Bühnenmitte. Im Hintergrund verdeutlichen Projektionen, was die Übertitelanlage - trotz aller Textverfremdungen Baileys - nur anzudeuten vermag: Schwarzweißfotos von verletzten Kindern, von Toten und Soldaten leuchten auf. Ja - einem solchen Leid müssen sich Wiens Opernfreunde nur selten stellen, und es könnte sie nicht nur das irritieren: Indem sich hier dunkelhäutige Sänger europäische Kunst aneignen, kehrt Bailey die Verhältnisse um.
Andererseits macht auch er sich durch seinen Opernausflug angreifbar. So sehr es ihm ums Politische geht: Die Darreichungsform - Verdis "Macbeth" - setzt sich dann nichtsdestotrotz Opernmaßstäben aus. Umso mehr, als Bailey näher am Original arbeitet als gedacht: Die vorab angekündigte Rahmenhandlung (Kongolesen entdecken die Requisiten-Relikte einer "Macbeth"-Produktion) findet nur in Form einer Texteinblendung statt, in den folgenden 100 Minuten hört man eine stark gekürzte Verdi-Partitur und sieht dazu - trotz der Kostüme - weitgehend eine halbszenisch-starre Aufführung: Eine lebendige, subtile Personenführung scheint Bailey nicht interessiert zu haben. Wo die Feinheiten des Opernhandwerks beginnen, endet die Politik - und damit wohl auch der Anspruch dieses Theatermachers.
Dass er Fabrizio Cassol für eine Kammerfassung des "Macbeth" gewinnen konnte, war indes ein Glücksfall: Der Belgier hat die Partitur auf zwölf Instrumente eingedampft und erzielt dennoch reichlich Farbeffekte, die das No Borders Orchestra unter der Leitung von Premil Petrović schwungvoll auskostet. Starke Momente hat - trotz kleiner Intonationstrübungen - auch Owen Metsileng als Macbeth, vor allem aber Nobulumko Mngxekeza als Lady. Zuletzt demonstrativer Applaus.
Oper
Macbeth
Wiener Festwochen/Odeon
Wh.: 27. und 28. Mai