Ehebruch mit dem Bohrer: In "Stavanger" ist Betrug ein kaltes Handwerk. - © Ziedonis Safronovs
Ehebruch mit dem Bohrer: In "Stavanger" ist Betrug ein kaltes Handwerk. - © Ziedonis Safronovs

Alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen. Murphys Gesetz scheint bei Marina Krapivinas Bühnenstück "Stavanger (Pulp People)" Pate gestanden zu haben. Die Einsicht, wonach alles in Richtung größtmögliche Katastrophe strebt, jagt das Theaterensemble aus Lettland bei seinem Wien-Gastspiel im Rahmen der Festwochen in geradezu absurde Höhen. Das irrwitzige Spektakel legt dabei besonderes Augenmerk auf medizinische Unmöglichkeiten: Einem Mädchen wird bei einem Unfall der Kopf abgetrennt. Tot ist sie deshalb noch lange nicht - ihr wird der Kopf der Großmutter angestückelt, und sie lebt als zombieähnliche Kreatur weiter. Ein Mann wird nach einem Schlaganfall zum Pflegefall. Seine Therapie? Einmal täglich die Zunge mit dem Fleischklopfer malträtieren.

Drogen sind ebenfalls im Spiel. Ein Schauspieler stellt ein Kind mit Down-Syndrom dar; in unregelmäßigen Abständen verlangt es lautstark nach Brei. Die Pampe, stellt sich bald heraus, ist ein Heroingemisch. Auch die biederen Erziehungsberechtigten versorgen sich exzessiv mit dem weißen Gift. Am Schluss wird der Kleine von der Mutter umgebracht. Oder war es doch nur ein Haushaltsunfall? Die Hintergründe für das Dahinscheiden bleiben offen. Für den Tod der Nebenfigur interessiert sich inmitten dieses planvollen Bühnendesasters ohnehin niemand.

Hermetische Welt


Im Zentrum von "Stavanger" findet sich ein junges Paar, das sich auseinandergelebt hat und sich gegenseitig betrügt. Er geht bei nächtlichen Taxifahrten mit einer Stewardess fremd, sie findet beim Chatten einen Verehrer und besucht ihn heimlich in der titelgebenden norwegischen Stadt Stavanger. Allerdings entfaltet sich auf der Bühne der Halle G im Museumsquartier kein Liebesdrama. Die erwartbar große Eifersuchtsszene? Fehlanzeige. Das Erschütternde ist die vollkommene Abwesenheit jeder Emotion. Ehebruch wird denkbar nüchtern vollzogen - und in eindrückliche Bilder gebannt: Er hantiert auf der Bühne mit einer elektrischen Bohrmaschine, sie hält ein Brett. Das Publikum wird Zeuge, wie er leidenschaftslos, handwerklich perfekt, ein Loch nach dem anderen bohrt. Menschliche Regungen sind nicht in Sicht, nicht einmal in homöopathischen Dosen. Es ist eine Welt für sich, in der sich das Geschehen abspielt: Die Bühne wird von einem hermetischen Glaskubus dominiert, in dem ein komplett eingerichtetes Appartement untergebracht ist - Küche, Klappbett, Esstisch, Toilette. Der 39-jährige Moskauer Regisseur Konstantin Bogomolov, einer der bedeutenden Bühnenkünstler des russischen Gegenwartstheaters, erweist sich bei seinem Wien-Debüt als ein Meister der Kälte.

Die Mitglieder des zehnköpfigen Ensembles agieren nicht mehr wie Menschen, eher wie Maschinen, die auf Leerlauf programmiert sind. Die mechanisierten Abläufe, die Kommentare via LED-Laufschrift und der monotone Sprachgestus - Bühnensprache ist Lettisch in deutscher Simultanübersetzung - stehen dabei im Gegensatz zu den drastischen Ereignissen. Man gibt sich cool. Das Innenleben am Vereisungspunkt. Der 90-minütige Theaterabend liefert das absurde Abbild einer extrem entsolidarisierten Gesellschaft - und provoziert mit unheimlichem Postulat: Der Mensch ist im 21. Jahrhundert ein Auslaufmodell.

Theater

Stavanger (Pulp People)

Von Marina Krapivina

Konstantin Bogomolov (Regie)

Wiener Festwochen

Museumsquartier/Halle G