"Hin- und hergerissen zwischen zwei Träumen . . ." Die Herzogin seufzt das kurz vor ihrem Tod, und sie hat es schon einmal gesagt. Knapp nach ihrer Verfehlung. Ja, diese Renaissance-Dame liebt ihren Mann, und doch hat sie ihn gerade betrogen. Fragen beginnen an ihr zu nagen. Wird der Herzog ihr das verzeihen, oder wird er sie beseitigen lassen? Ja, müsste er sie nicht sogar ermorden - als Zeichen seiner Liebe?
Salvatore Sciarrino, geboren 1947 in Palermo und bekannt für seine skrupulös säuselnde, wie in den Wind komponierte Musik, ist auch als Opernerzähler ein Gipfelstürmer der Spitzfindigkeit. In "Luci mie traditrici/Die tödliche Blume", uraufgeführt 1998, ist es ihm um jene ätherischen Aromen zu tun, die das Pflänzchen Liebe unter der Höhensonne der Selbstreflexion freisetzt. Die Vorlage (G. A. Cicogninis "Il tradimento per lonore" von 1664, ein Nachhall auf den Ehrenmord des berüchtigten Komponisten/Fürsten Carlo Gesualdo) ist auf knappe Sätze reduziert. Unter der Lupe seiner Kunst wendet Sciarrino diese Worte, er wiederholt sie, dreht sie oder kräuselt sie zu komplexen Koloraturen. Verbunden mit dem spukhaften Gezirpe aus dem Orchester (dem Klangforum Wien unter Emilio Pomàrico) klingt das kleinteilig, vor allem aber klammheimlich: Im Verlauf einer guten Stunde, die weniger Oper ist denn tönendes Seelenlabyrinth zwischen Herzog und Herzogin, Liebhaber und Diener, bleibt der Tonfall ein nachtgedämpfter. Wobei sich dieses Dauer-Piano mit der Zeit zwar abnützt, der Musik aber weitgehend die Aura der Kostbarkeit verleiht.
Schwein und Hirsch bei Tisch
Festwochen-Intendant Markus Hinterhäuser tut gut daran, diese "Blume" an den Beginn des Festivals zu setzen - denn er löst damit seinen Anspruch ein, den Wiener Repertoirebetrieb sinnvoll zu ergänzen. Wann sieht man schon einen solchen Opernexoten? Und wann in dieser Regie? Hinterhäuser, das ist der wahre Coup, hat den Kunstquerkopf Achim Freyer für Wien zurückgewonnen.
Wie um das Publikum wieder an seine Wundertütenbühnen aus Zirkus und Commedia dellarte, Miró-Klecksen und Performance zu gewöhnen, stellt Freyer der Oper eine kurze Groteske voran. "Tag aus Nacht ein" heißt sie und ist eine Art szenische Fantasie: Grillengezirpe und Menschengemurmel wechseln einander ab, Dunkelheit und pittoreske Standbilder. Ein Schwein sitzt dann plötzlich mit einem Hirsch an einem Tisch, wenig später holt ein grantiger Manegenmensch mit einer Axt aus. Warum? Darum.
Diese Ästhetik, man merkt es wenig später, ist dem Flüsterton Sciarrinos höchst zuträglich. Einerseits verhindert die Buntscheckigkeit, am Klanggeriesel zu ermatten: Freyer hat in der Halle E des Museumsquartiers auf mehreren Ebenen ein verspiegeltes, um Projektionen ergänztes Tableau vivant errichten lassen: unten ein puppenhafter Herzog an den Schnüren eines "Netzes", wie es anfangs in einem symbolträchtigen Renaissancelied (von Claude Le Jeune) besungen wird; weit darüber die Herzogin mit Karnevalsmaske und bunten Brüsten wie aus der Nana-Werkstatt von Niki de Saint Phalle. Freyers Theater, dies zum anderen, passt aber auch insofern zur Musik, als es wie diese mehr Seelentheater als Handlung, eher Emanationen denn handfeste Figuren schafft: Direkte Interaktion findet im Rätselraum nicht statt; stattdessen obwalten atmosphärische Gesten, zart stilisiert wie die Gesänge aus den virtuosen Kehlen von Anna Radziejewska und Otto Katzameier. Zuletzt anerkennender Applaus und ein Jubel-Crescendo für Freyer.
Oper
Luci mie traditrici/
Die tödliche Blume
Museumsquartier, Halle E
Wh. am 19. Mai