In Hamburg erfindet sich Stefan Herheim seinen Mozart neu. Der Norweger Stefan Herheim ist ein Opern-Filou. Ein Wundertüten- Regisseur, der sich wie ein Kind über die verblüfften Gesichter freuen kann, auf die er ein unvermutetes Lächeln zaubert. Dessen Fantasie auf kongeniale Partner ausstrahlt und von da zurückwirkt. Diesmal sind es Christof Hetzer (Bühne) und Gesine Völlm (Kostüme).

So war man denn bei den vielen Figaros landauf, landab auf den von Herheim in Hamburg besonders gespannt. Jürgen Flimms altersweise gelassenen Ausflug in die Sommerfrische in Berlin wurde da zum Anlauf. Musikalisch, vor allem vokal, freilich war der Auftakt in Berlin schon das Ziel des gerade laufenden Figaro-Marathons. Namentlich für die konkurrierenden Gräfinnen ist es halt Pech, wenn Dorothea Röschmann das Maß vorgibt.

Vokale Bestandsaufnahme


Gewiss hatte das Ensemble in Hamburg jede Menge Charme, spielerischen Witz und geizte nicht mit Selbstironie. Wovon sie besonders dank der barocken Notenkostüm- und Perückenpracht jede Menge brauchten.

Der vokale Vergleich war eher eine ernüchternde Bestandsaufnahme fürs Hamburger Ensemble. Wobei Christina Gansch als vielversprechende Barbarina aufhorchen ließ. Auch Wilhelm Schwinghammer mit seinem eine Spur zu vornehm geratenen Fi-
garo und die geschmeidige Susanna von Katerina Tretyakova steuerten vokal ihren Teil zum En-semblespiel bei. Ottavio Danto-
ne am Pult der Philharmonischen Staatsorchesters bleibt gele-
gentlich hinter dem Feuer-
werk, das auf der Bühne abgeht, zurück.

Dort veranstaltet Stefan Herheim aber keine Exkursion in die konspirativen Geistesnischen der revoluzzernden Aufklärer und redet sich auch nicht auf eine perfekt getimte Beziehungskomödie heraus. Nein, er erfindet einfach diese Oper neu. Aus dem Geiste der Musik. Oder noch genauer aus der Sprengkraft der Noten. Er macht den Noten regelrecht Beine, ihre geheime obsessive Richtung deutlich, lässt sie zu Frauen und Männern werden, die suchen, lieben, enttäuscht sind, explodieren wir ein Feuerwerk und dann wieder hinter Mozarts genialisch hingeworfenen Notenblättern verschwinden.

Und das ist keineswegs metaphorisch gemeint. Schon die Ouvertüre ist mit einer Video-Liebeserklärung von fettFilm unterlegt, bei der einem das Herz aufgeht. Da kriegen die Noten Beine, fangen an zu rennen, zu reiten zu werben, um am Ende zu einem Spermien-Schwarm zu werden. Will wirklich jemand behaupten, dass Mozart sich da nicht gebogen hätte von Lachen?

Partitur als Tapete


Und so geht es dann in dem Bühnennotenkäfig weiter, der mit den Seiten der Partitur tapeziert ist, die dann auch mal runterfallen wie Laub und alle beim ersten Finale unter sich begraben. Die aber auch als verräterischer Zettel oder Vertrag oder zur Orientierung dienen, hinter oder unter denen man sich aber auch verstecken kann. Und so werden die Figuren aus und in den Noten lebendig. Sind aufgedonnert wie dem Ancien Regime entsprungen und prall von Leben und anzüglich frivol zupackend wie von Mozart und DaPonte erfunden. Jubel in Hamburg.

oper

Le nozze di Figaro

Von Wolfgang A. Mozart

Stefan Herheim (Regie)

Ottavio Dantone (Dirigent)

Staatsoper Hamburg