"Es ist traurig, dass Demokratien keinen Mechanismus entwickelt haben, Faschismus zu verhindern", sagt Oliver Frlji . Seine Inszenierung "Unsere Gewalt und eure Gewalt" gastiert nun in Wien. - © Mare Muti
"Es ist traurig, dass Demokratien keinen Mechanismus entwickelt haben, Faschismus zu verhindern", sagt Oliver Frlji . Seine Inszenierung "Unsere Gewalt und eure Gewalt" gastiert nun in Wien. - © Mare Muti

"Wiener Zeitung": Wie würden Sie Ihre Art Theater zu machen beschreiben?

Oliver Frljić: Formale Entscheidungen sind bei mir eng mit dem Effekt verwoben, den ich erzielen will. In jeder künstlerischen Ausdrucksform manifestieren sich Interessen bestimmter sozialer Schichten. Wenn man etwa Peter Weiss’ "Ästhetik des Widerstands" liest, wird einem bewusst, wie lange Bauern oder Arbeiter nicht einmal Sujet eines Kunstwerks sein durften.

"Balkan macht frei", Ihre viel diskutierte Münchner Inszenierung, gastierte neulich im Werk X, thematisiert einen Clash der Klischees zwischen Ost und West. Warum halten sich regionale Differenzierungen so hartnäckig?

Noch bevor ich etwas sage oder tue, werde ich sehr oft mit Stereotypen konfrontiert, die mit dem Ort meiner Geburt zu tun haben, oder dem Land, in dem ich derzeit lebe. Auch meine künstlerische Arbeit wird unter dieser Prämisse beurteilt. Anstatt dass ich nun lang und breit erkläre, dass die Dinge nicht so einfach sind, dass der Balkan als historisch gewachsener sozialer und kultureller Raum viel komplexer ist, als in den westlichen Mainstream-Medien dargestellt, versuche ich, solche neokolonialen Einstellungen zu kritisieren, in dem ich Stereotype, denen ich häufig ausgesetzt bin, scheinbar internalisiere.

In Ihrer Festwochen-Produktion "Unsere Gewalt und eure Gewalt" geht es auch um das Erstarken der Rechten in Europa. Ihre Diagnose?

Der gegenwärtige europäische Faschismus ist demokratisch legitimiert. Es ist traurig, dass Demokratien keinen Mechanismus entwickelt haben, den Faschismus zu verhindern, vor allem nach den Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit damit machen mussten. Eigentlich sollten wir uns täglich daran erinnern, dass Hindenburg seinerzeit Hitler zum Reichskanzler Deutschlands ernannte.

Im Stück "Balkan macht frei" sprechen Sie von einem Krieg, der kommen werde. Ist das für Sie eine konkrete Bedrohung?

Nun, ich bin weder politischer Analyst noch Prophet. Aber Krieg ist niemals nur blinder Hass, es stecken immer auch ökonomische Interessen dahinter. Die gegenwärtige ökonomische Überlegenheit Europas ist auch das Ergebnis einer völlig legal betriebenen Ausbeutung während der Zeit des Kolonialismus.

Die Geschichte schlägt zurück?

Ja, so gesehen freut es mich, dass die Menschen aus jenen Ländern, die einst kolonialisiert wurden und in die man westliche Demokratie exportierte, nun die Straßen Europas fluten. Sie sollen unsere Jobs stehlen, da wir sie seit langem der Möglichkeit beraubt haben, unter menschenwürdigen Bedingungen zu leben. Was wurde aus dem Arabischen Frühling? Die meisten dieser Länder leben heute im absoluten Chaos.

Wann beginnt ein Krieg?

Das hängt davon ab, wie man den Begriff Krieg definiert. Die aktuelle Situation in Europa könnte durchaus als Umkehrung der berühmt-berüchtigten Carl-von-Clausewitz-These gelesen werden. Demnach wäre die gegenwärtige Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Sie selbst erlebten den Krieg in Ex-Jugoslawien. Welche Lehren lassen sich daraus für das Heute ziehen?

Man kann daraus lernen, wie ein Krieg in Europa aussehen könnte: Er würde mit Waffen geführt werden, die noch viel ausgefeilter sind, und es käme wieder zu unzähligen Verlusten. Das gegenwärtige Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen in ganz Europa lehrt uns, dass 1945 das Jahr war, in dem der Faschismus zwar eine Schlacht verloren hat, aber nicht den Krieg. Europa relativiert seine antifaschistischen Traditionen, ein anti-totalitärer Diskurs wird dazu benutzt, die Linken zu diskreditieren.

In Ihrer Theaterarbeiten kritisieren Sie häufig die Zustände in den Staaten Ex-Jugoslawiens. Wie erleben Sie den Prozess der Vergangenheitsbewältigung in Ihrer Heimat?

Um sich über kollektive Erinnerungen verständigen zu können, bedarf es eines politischen Prozesses. Darin spiegeln sich die Werte einer bestimmten Gesellschaft. Es ist eine Tatsache, dass wir in der gegenwärtigen kroatischen Regierung Leute haben, die sich offen für einen unabhängigen Staat Kroatien aussprechen - jenes Staatsgefüge war während des Zweiten Weltkriegs ein Vasallenstaat Hitlers - und die ferner alles tun, um Verbrechen, die von diesem Regime verübt wurden, zu relativieren. Wohin führt das? Der historische Faschismus erlebt in Kroatien derzeit eine Form der Normalisierung. In den Geschichtsbüchern der Grundschulen werden etwa Partisanen und die nationale Befreiungsarmee Jugoslawiens kaum mehr in einem positiven Kontext erwähnt.

Denken Sie, dass Theater etwas verändern kann?

Das Theater hat mich verändert, die Antwort ist also ja.