Haben all die politischen, sozialgeschichtlichen und kunsttheoretischen Fragen, die Peter Weiss in seinem als Lebenswerk zu bezeichnenden dreibändigen Roman "Ästhetik des Widerstands" (1975 - 1981) abhandelte, noch Gültigkeit für eine Analyse des Europas von heute? Für Oliver Frljić, Direktor des kroatischen Nationaltheaters in Rijeka, sind sie jedenfalls die Ausgangsbasis für seine eigenen Fragestellungen in einer kein Tabu scheuenden Performance "Nae nasilje i vae nasilje" ("Unsere Gewalt und eure Gewalt"), die er zusammen mit kroatischen und slowenischen Schauspielern und Schauspielerinnen erarbeitet hat.

Ihm geht es, kurz gesagt, um die Verflechtung von Kapitalismus und Faschismus - bzw. Faschismen - in einem Europa, wo sich mancherorts demokratieunterminierende Tendenzen im Aufwind befinden. Dass eine 75-minütige, ihre Spielsituation von Beginn an offenlegende Performance diese Frage nur stellen, aber nicht beantworten kann, muss wohl nicht eigens betont werden.

Willkommenskultur und Festung Europa

Ein Projekt wird geplant. Flüchtlinge, die sich bereits in Europa - fast alle in Zagreb oder Ljubljana - eingelebt haben, werden daran teilnehmen. Die Männer und Frauen stellen sich der Reihe nach vor, berichten von ihrer Herkunft - aus dem arabischen Raum usw. -, ihrer Familie und ihrer Integration. Letztere wird in einer Ensembleszene zu den Klängen von "Stille Nacht" veranschaulicht, wenn sie sich ihrer Kleidung entledigen und sich die arabischen Schriftzeichen von ihren Körpern wischen. Danach streifen sie orange Overalls über.

Nun ist die radikal muslimische Seite am Wort. Ein Mann wird erschossen. Weitere akustisch vernehmbare Hinrichtungen werden vollzogen. Die Terroranschläge in Paris und Brüssel werden auf dieser Seite als Antwort auf vier Millionen in den Kriegen vergangener Jahre getöteten Muslime dargestellt.

Später wird man die "Willkommenskultur" und das verordnete Abgehen davon hinterfragen und selbstredend auch auf das Problem verweisen, wen die Flüchtlinge ängstigen und wem sie nützen - benötigen doch die internationalen Großkonzerne immer noch billigere Arbeitskräfte. Während einer "Flüchtlingsparty" wird ein muslimischer Neuling, der sich endlich angekommen fühlt, zur Zielscheibe eines grausamen, für ihn gar nicht lustigen Spiels.

Die "Festung Europa" hat die mazedonische Grenze geschlossen. Nur einer von vier Flüchtlingen überwindet das Gitter, ohne sich um das Schicksal der Zurückgebliebenen zu kümmern. Auf all diese und manch andere teils drastischen, teils das Theater ironisierenden Bilder folgt am Ende eine brutale Vergewaltigungsszene. Doch am Ende verkündet eine Frau laut lachend: "Die Letzten werden die Ersten sein - das steht in der Bibel und nicht im Koran."

Dass zu Beginn Ohrenstöpsel verteilt wurden, muss wohl als PR-Gag verstanden werden. Die Lautstärke war durchaus erträglich.