Alltägliche Rituale: Danuta Stenka als Frau Rasch. - © Klaudyna Schubert
Alltägliche Rituale: Danuta Stenka als Frau Rasch. - © Klaudyna Schubert

Als Franz Xaver Kroetz 1971 sein Ein-Personen-Stück "Wunschkonzert" verfasste, wurden unverheiratete Frauen zumeist noch als "Fräulein" registriert oder - deutlicher gesagt - diskriminiert. So auch Fräulein Rasch, eine nicht mehr ganz junge Frau, berufstätig, auf sich selbst gestellt, allein lebend. Wenn sie nach der Arbeit in ihre penibel aufgeräumte Wohnung zurückkommt, fehlt ihr ein Ansprechpartner. Um die Zeit bis zum Schlafengehen zu überbrücken, spult sie ihr alltägliches Ritual ab: ein wenig Hausarbeit, Abendessen zubereiten, Körperpflege, Radio hören, stricken. Kroetz schreibt den Ablauf dieser Handlungen mit Präzision vor, verrät aber nicht, was gerade an diesem Abend die Frau dazu bewegt, dass sie den Schlusspunkt unter ihr Leben setzt.

Yana Ross zeigt nun in ihrer mit subtilem Gespür gestalteten Inszenierung, dass Singles auch im Zeitalter der globalen Internet-Kommunikation nicht vor Einsamkeit gefeit sind. Auf einem quadratischen Podium in der Mitte des Spielraums ist die von allen vier Seiten einsehbare Wohnung von Frau Rasch aufgebaut (Bühne: Simona Biekaite): eine gut ausgestattete Küche - Esstisch, Kühlschrank, Waschmaschine, Mikrowelle usw.- , ein Wohnzimmer mit einem zum Doppelbett ausziehbaren Sofa, Dusche, Fernsehen, Radio.

Und immer Handcreme

Wenn das Publikum den Saal betritt, steht Danuta Stenka bereits in der Haltung einer Kaufhaus-Eleganz suggerierenden Schaufensterpuppe regungslos an der Schwelle, die sie erst, wenn das Spiel beginnt, hastig überschreitet. Sie legt ihr dunkles Kostüm ab, die weiße Bluse kommt gleich in die Wäsche, sie schlüpft in einen bequemen Hausanzug, fischt aus einem Plastiksack ihre Einkäufe heraus, verstaut sie im Kühlschrank und in Küchenschränken. Das Fernsehprogramm läuft unbeachtet nebenher. Auf jedes Händewaschen folgt ein schneller Griff zur Handcreme. Bei der Vorbereitung des Abendessens wird gewürzt, geschnipselt und arrangiert, ohne jedoch Genuss am Essen zu finden. Sie blättert dabei in Zeitschriften und verfolgt aufmerksam das Radio-"Wunschkonzert" - im Volksmund einst als "Erbschleichersendung" berüchtigt. Als Disc-Jockey erfüllt Ernst Grissemann, der nicht nur als Stimme, sondern auch als Zuschauer präsent war, die Wünsche seiner Hörer, vor allem von Paaren, die durch angebliche Zufallsbegegnungen zur glücklichen Zweisamkeit gefunden haben. Danach begibt sich die Frau Rasch am Laptop mit dem Computerspiel "Die Sims" in ihre eigene, Familienglück vorgaukelnde Internetwelt, ehe sich zu Bett begibt, ohne in den erlösenden Schlaf zu versinken. In einer atemberaubenden Schlussszene reflektiert sie am Küchentisch im Hin- und Herschieben der Tabletten ihren Entschluss zum Selbstmord.

Die schlichtweg großartige Danuta Stenka zeigt eine Frau, die sich vom ersten bis zum letzten Moment hinter der Maske einer sich selbst auferlegten Selbstdisziplin verschanzt. Dabei gelingt es ihr, dass man mit ihren zum Teil Routine verratenden, zum Teil fahrigen Aktionen gewissermaßen mitfiebert. Was gar nicht so einfach ist: Denn für das Publikum gibt es keine bequemen Sitzplätze. Man beobachtet das Geschehen gewissermaßen hautnah, gleichgültig, ob man sich für einen Fix-Stehplatz entscheidet oder beim achtzigminütigen Geschehen herumgehend die Perspektiven auf den Schauplatz wechselt. Beide Möglichkeiten werden mit einem einzigartigen Theatererlebnis reich belohnt.