Hamlet (Pavel Černoch) kauert vor dem Geist. - © Karl Forster/Festspiele
Hamlet (Pavel Černoch) kauert vor dem Geist. - © Karl Forster/Festspiele

Wüsste man es nicht besser, man könnte meinen: Die Bregenzer Festspiele führen ihre Hausoper heuer deshalb nur dreimal auf, weil eine Orchester-Gewerkschaft Protest eingelegt hat. Begründung: Eine ausgedehnte Spielserie von Franco Faccios Oper "Hamlet" sei Schlagwerkern nicht zuzumuten; schon nach einmaligem Dienst drohe Paukisten eine Sehnenscheidenentzündung.

Nun zeigen die Festspiele diesen "Hamlet" in Wahrheit deshalb nur dreimal, weil sie die verbleibenden Ressourcen für zwei zeitgenössische Opern nutzen. Faccios Werk, eine Ausgrabung aus dem Jahr 1865, hält die Pauken dennoch gehörig auf Trab. Kaum eine Nummer, die ohne Rummsbumms, flankiert von Tremolo-Streichern, enden würde. 25 Jahre jung war Faccio, als er diesen "Hamlet" ("Amleto") zur Uraufführung brachte - man hört dem Werk dieses Heißsporn-Alter an. Kunstvoll inszeniert, ist dieser Sturm und Drang aber auch die Stärke der Oper.

Ausbund an Inbrunst

Die dramaturgischen Schneisen dafür legt das Libretto von Arrigo Boito. Weitgehend stringent und werknah, dampft es Shakespeares Drama auf vier Akte ein und bricht (im Gefolge Richard Wagners) mit starren Musiktheater-Schablonen. Wiewohl noch eine Nummernoper, mischen sich Arie, Duett und Tableau hier nicht selten reizvoll. Faccio füllt diese Strukturen mit einer Musik, die am späteren Verdi geschult ist: Freude drückt sich in süffiger Italianità aus, Wut in chromatischer Schärfe; sängerseitig wird gern deklamiert oder aus einem Parlando heraus ein Spitzenton angesteuert. Was Faccio geschickt vermeidet, ist Verdis Neigung zu Hum-pa-pa-Rhythmen: Im Orchester sorgen Kurzmotive, Sequenzen und raffinierte Farbmischungen für Schwung. Vor allem der erste Akt (er fällt mit einem Trinklied des neuen Königs Claudius ins Haus und endet mit jener Geistererscheinung, die Hamlet über den Mord an seinem Vater aufklärt) ist ein Ausbund an Intensität.

Auf Dauer wird es ihrer aber etwas viel. Liegt das auch an Paolo Carignani, Dirigent am Pult der Wiener Symphoniker? Er legt in seiner Karriere nicht zum ersten Mal eine kantige, kurzatmige Lesart vor. Viel Zeit zum Luftholen lässt aber auch Faccio selbst nicht. Es ist bezeichnend, dass ihm für die Verschnaufpause am Beginn des Schlussakts (die Totengräber-Szene) wenig eingefallen ist, während sich seine Inspiration an dringlichen Momenten umso heftiger entzündet.

Triumph für Černoch

Es war dieser "Hamlet" aber schon die letzte Blüte seiner Komponistenfantasie: 1865 in Genua uraufgeführt, fiel die Oper 1871 an der Mailänder Scala durch. Schuld daran war angeblich ein erkrankter Tenor. Faccio verlegte sich daraufhin aufs Dirigieren, und der Veronese stieg in dem Fach zu einer Kapazität seines Landes auf. Wobei es eine gewisse Ironie birgt, dass er 1887 dann auch Verdis "Otello" (ebenfalls mit einem Boito-Libretto) zum Premierenerfolg verhalf: Sein "Hamlet" hatte einiges von diesem Meilenstein vorweggenommen. Der Weg ins Repertoire blieb Faccios Jugendwerk aber wohl nicht nur wegen eines Krankheitsfalls, sondern auch gewisser Unwuchten verwehrt. Erst 2014, nach einer Pause von 143 Jahren, kam sein "Hamlet" in der amerikanischen Stadt Albuquerque (New Mexico) zu neuen Ehren.

Nun hat er auch Bregenz erreicht und gerät hier jedenfalls zum Triumph für den Hauptdarsteller. Pavel Černoch ist als Prinz ganz dunkel glosende Rache: Schwarz gewandet und mit flackerhaften Gesten, changiert dieser Hamlet zwischen düsterem Wüterich und verbohrtem Irren; die volltönende Stimme meistert die Endlos-Deklamationen nicht nur ohne Verschleißerscheinungen, sie verleiht dem Ungestüm dieser Vendetta auch männlichen Schmelz.

Das Ziel der Rache - der Bruder, Mörder und Nachfolger des bisherigen Königs - liefert hier eine solide Leistung: Claudio Sgura (Claudius) versteht sich auf der Bühne vor allem auf arrogante Blicke und feiste Töne. Dshamilja Kaiser (Königin Gertrude) klingt im italienischen Fach stilsicher, aber mitunter rau; Iulia Maria Dan (Ophelia) wirkt apart, doch etwas blässlich. Einen wendigen Eindruck - nicht nur in der finalen Fechtszene - macht Paul Schweinester (Laertes), während Gianluca Buratto (Geist) eine Art Shakespeare-Komtur vorstellt. Wobei er in seinem Kostüm eher nach Blechmann denn verblichenem König aussieht.

Zerzauste Perücken

Überhaupt, diese Kostüme: Die knallroten Halskrausen, dicken Pluderhosen und zerzausten Perücken von Gesine Völlm changieren irgendwo zwischen Commedia dell´arte und Comic - und sie stellen vermutlich den Versuch dar, die Geschichte in ihrer Zeit zu belassen, ohne dabei alt auszusehen. Die Bühne (Frank Philipp Schlößmann) wiederum ist, offenbar von der Theaterszene des "Hamlet" inspiriert, ebenso mit Glühlämpchen umsäumt wie ein kleineres Pendant im Hintergrund. Ihren Boden zeigt sie gern nackt und metallglänzend, bietet mitunter aber auch einem Riesenkubus Platz oder allerlei Festtafeln, auf denen Regisseur Olivier Tambosi seine Protagonisten bevorzugt spielen lässt. All das erzielt keine Spitzenwerte an Charisma, lenkt aber auch nicht ab von der Musik.

Und die fand nach rund drei Opernstunden im Festspielhaus Zustimmung. Applaus für alle Beteiligten, der Löwenanteil für Černoch. Bleibt die Frage: Hätte Faccios "Hamlet" das Zeug, die Opernwelt heute, gewissermaßen im zweiten Anlauf, zu erobern? Nun: Es wäre jedenfalls reizvoll, dieses musikalische Pulverfass von einer ruhigeren Dirigentenhand erkundet zu hören.