Am 10. Juni gastiert der deutsche Kabarettist Claus von Wagner mit seinem aktuellen Programm "Theorie der feinen Menschen" im Wiener Stadtsaal. Die "Wiener Zeitung" hat mit ihm darüber gesprochen, ob es heute überhaupt noch feine Menschen gibt und wie er als Kabarettist mit der Flüchtlingskrise und den umstrittenen Abkommen Ceta, TTIP und Tisa umgeht.

- © Marcus Gruber
"Wiener Zeitung": Sie spielen die "Theorie der feinen Menschen" jetzt schon seit genau sechs Jahren. Wie hat sich das Programm seit April 2012 verändert? Was ist gleich geblieben?
Claus von Wagner: Man könnte auch fragen: Was musste ich aus dem Programm herausnehmen, weil sich die Welt dank meiner Satire zum Besseren gewandelt hat?! Die Antwort ist für den Wirkungsgrad meiner Kunst wenig schmeichelhaft: So gut wie nichts. Wir leben weiter ein Wirtschafts- und Finanzmodell, das die Grundlagen für das Leben auf diesem Planeten gefährdet.
Was meinen Sie damit konkret?
Die ressourcenblinde Wachstumsfixierung hat trotz Finanzkrise und unwiderlegbarem Zusteuern auf eine Klimakatastrophe nicht mal eine kleine Delle bekommen. Die Dogmen der Wirtschaftswissenschaften sind – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen auf dem Höhepunkt der moralischen Entrüstung über die Finanzkrise – nahezu unangetastet: An den Universitäten wird weiterhin eine Ökonomie gelehrt, die lediglich auf Staatsabbau, Privatisierung und extreme Eigenverantwortung herausläuft. Was abstrakt klingt, wird konkret wenn man etwa die Missstände in der Pflege betrachtet. Da sieht man, was passiert, wenn versucht wird, gesamtgesellschaftliche Aufgaben in Aktiengewinne zu verwandeln.
Wenn der Claus von Wagner des Jahres 2012 dem Claus von Wagner des Jahres 2018 gegenübersäße, was wäre die wichtigste Frage, die er seinem heutigen Ich stellen würde? Und was würde es ihm antworten?
Ha! Sehr gute Idee: den Content Provider die Arbeit selber machen lassen. Sie sind das Instagram unter den Interviewern! Also gut, ich nehme das als Chance wahr . . .
Claus 2018, was hat Dich letztens beeindruckt?
Claus 2012, tolle Frage! Die grandiose Rede von Michael Köhlmeier und darin der Satz: "Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt. Nie. Sondern mit vielen kleinen. Von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung." Dieser Satz ist so klarsichtig! Er sollte zentraler Leitgedanke bei der Bewertung jedweder menschenfeindlichen Äußerung von FPÖ- oder AfD-Politikern sein. Diese Rede hat unsere Verantwortung noch mal deutlich umrissen: konsequent nüchterne, mit der Kraft des Geistes und der Humanität gestützte Antworten auf die Provokationen von Menschenfeinden zu geben – ohne sich auf ihr Niveau zu begeben . . . Mir fällt grad auf: Zivilisiert zu sein ist so viel schwerer als unzivilisiert!
Apropos Köhlmeier und FPÖ: Wieviel müssen Sie bei Ihrem Bühnenprogramm umschreiben, wenn Sie es in Österreich spielen?
Es ist ein Programm über die weltweite Finanzwelt und die immer noch andauernde Finanzkrise. Und riskante Bankgeschäfte sind ja auch in Österreich bekannt. Angela Merkel, denke ich, ebenfalls. Ich werde also wohl nicht viel ändern müssen. Unsere beiden Länder arbeiten im Moment ja auch eng zusammen. Eurem Außenminister haben wir sogar schon politisches Asyl in unseren Talkshows gewährt.
Und wie ist das beim Humor? Wie nah sind Deutsche und Österreicher einander da? Tun Sie sich eigentlich als Bayer in Österreich leichter als in Norddeutschland?
Ich tue mir als gebürtiger Münchner, der von Haus aus keinen Dialekt spricht, in Bayern schwerer als in Norddeutschland, insofern . . . aber sprachlich müssten wir eine Verständigung irgendwie hinkriegen: Ich habe in den Neunziger Jahren einen Abschluss in österreichischem Dialekt an der Hoanzl-Akademie gemacht: Josef Hader und Alfred Dorfer im Hauptfach, Andreas Vitásek und Gunkl im Nebenfach.
Sie machen ja auch die TV-Sendung "Die Anstalt". Wo fühlen Sie sich generell wohler: vor der Kamera oder eher auf der Bühne?
Die "Anstalt" wird in einem Studio aufgezeichnet, das aussieht wie eine Bühne, insofern bin ich da fein raus.
Gibt es Themen und Gags, die Sie nur auf der Bühne und nicht im Fernsehen bringen können? Sind Live-Auftritte da weniger heikel?
Wenn Sie sich die "Anstalt" anschauen, sehen Sie, dass wir versuchen, über alles zu reden. Im Sinne harscher Reaktionen - wie etwa Anwaltsschreiben - ist TV aber tatsächlich als heikler einzustufen. Das macht es auch so spannend. Man erwischt Leute, die eben nicht schon unserer Meinung sind. Unsere Faustregel lautet: Wir bewegen uns innerhalb der Grenzen, die Jan Böhmermann in der deutschen Justiz für uns auslotet. Dafür haben wir ihn ja schließlich.
In Anspielung auf das Programm und die jüngsten Ereignisse in Bayern, dessen Finanzminister Markus Söder ja auch einmal war: Sollten nun auch Kreuze in den Geldspeichern der Finanzinstitute hängen, um mit der Zeit zu gehen? Könnte das vielleicht für einen besseren Umgang mit dem Kapital sorgen?
Söder hat diese Aktion ja nur für Behörden vorgeschlagen, insofern fordern sie da grade eine Verstaatlichung der Finanzinstitute! Lacht Zunächst mal: Söder hat den Ausdruck "zu Kreuze kriechen" auf eine ganz neue Bedeutungsebene gehoben. Und: Er ist ein Meister der Aufmerksamkeitsökonomie. Man könnte das lustig finden, aber was er damit anrichtet ist: Er verstopft die Kommunikationskanäle mit politischen Ersatzhandlungen. Wir bräuchten den Raum aber für das Besprechen konstruktiver Lösungen zu den großen gesellschaftlichen Problemen, wie etwa der Klimakatastrophe. Stattdessen verplempern wir das letzte bisschen Luft zum Umsteuern an einen raufsüchtigen, am Gemeinwohl herzlich uninteressierten Machttrunkenbold. Die Gespräche in der Zukunft werden lustig: "Sorry liebe Enkel. Ja, es ist doof, dass Teile des Planeten unbewohnbar geworden sind und wir wollten ja Lösungen finden, aber dann hat Markus Söder Kreuze aufgehängt..."
Sie haben Kommunikationswissenschaft, Geschichte und Medienrecht studiert und Ihre Magisterarbeit über politisches Kabarett im deutschen Fernsehen geschrieben - jetzt machen Sie es selbst. Hat sich Ihr Blick auf das Thema in der Zwischenzeit durch Ihre eigenen Erfahrungen verändert? Und andererseits: Finden die Erkenntnisse der Magisterarbeit jetzt Niederschlag in der "Anstalt"?