Vom Minimalismus, der die Performance-Szene derzeit beherrscht, ist keine Spur. Opulentes Großspektakel ist angesagt: Da hängen unzählige Neonröhren vom Schnürboden, ausgestopfte Häschen liegen eingekuschelt auf Polstern, drei Luster erinnern an Kronen. Inmitten des Requisitenwusts steht eine Art Thron. Überall Schmuddeligkeit aus Gold und Dreck, die Atmosphäre schwer und bedrohlich.
"Promised Ends: The Slow Arrow Of Sorrow And Madness" heißt das jüngste Werk von Autor, Regisseur und Performance-Künstler Derrick Ryan Claude Mitchell und seinem US-amerikanischen Künstlerkollektiv Saint Genet, das bei den Wiener Festwochen am Dienstag uraufgeführt wurde. Es ist der letzte Teil einer Trilogie, die 2015 mit einer 72 stündigen Performance "An Exemplary Case Of Love Without Respite" gestartet ist und 2016 mit "Who With Their Fear Is Put Beside Their Part" seinen Fortgang gefunden hat.
"Promised Ends" teilt Mitchell in fünf Movements, in denen er seine Performer leiden lässt: Vier Darstellerinnen in umhangähnlichen hautfarbenen goldenen Kleidern kämpfen - meistens synchron - mit Verrenkungen und ihrem Gleichgewicht, während seitlich ein weiterer Performer Zitate aus Ritualtänzen (Choreografie: Matt Drews) hüpft.
Demontiert, gefedert
und vergessen
Dann fährt Performer Baso Fibonacci mit seinem Rollstuhl auf die Bühne des Tanzquartiers, hält an und fixiert den Zuschauerraum. Ein Performerinnen-Quartett hievt ihn auf den Thron, wo er als Shakespeares König Lear regiert. Und leidet. Er wird nach zahllosen fragmentierten Monologen, die ihm Mitchell aus dem Hintergrund vorsagt, nach und nach demontiert, mit Kunstblut und Honig übergossen und gefedert. Und letztlich mit Klarsichtfolie bis über das Gesicht eingewickelt. Der Erstickungstod scheint nahe.
Vom Umwickeln mit der Folie bleiben auch die übrigen nach 150 Minuten bereits gezeichneten Performer nicht verschont. Diese sollen die Donner Party verkörpern, eine Siedlergruppe, die sich in den USA des 19. Jahrhunderts ins Ungewisse aufmachte und in Kannibalismus endete.
Auch setzt Mitchell Projektionen mit stichwortartigen politischen Aussagen in Bezug zu "König Lear"-Wortfetzen. Inzwischen schinden sich die Performer selbst mit Schlägen und hartem Aufprallen auf den Boden, bis sie sich schließlich ihrer zerrissenen Kleider und Folienreststücken entledigen und mit honigverschmierten Gesichtern hopsend, klatschend und singend - begleitet vom live spielenden Streichquartett und einem Keyboarder (Musik: Brian Lawlors und D. Salos) - die Bühne verlassen. Zurück bleibt ein geschundener und gequälter König. Auf dem Boden liegend jammert er vor sich hin. Die Krönung der Qualen dieses Abends, die der Zuschauer miterleidet. Und so wirft die Performance viele Fragen auf - nicht nur jene Lears an den imaginären Feind: "Scheißt er ohne Probleme?"
Mitchell möchte erschüttern. Das gelingt teilweise mithilfe der bewusst Grenzen überschreitenden Inszenierung. Doch das Stück erklärt sich nicht aus sich selbst heraus. Der Beigeschmack des Prätentiösen veranlasste manchen Zuschauer dazu, vorzeitig die Halle G zu verlassen. Mancher meinte im Nachhinein: "What the hell . . ?"
Performance
Promised Ends: The Slow Arrow Of Sorrow And Madness
Derrick Ryan Claude Mitchell (Regie, Text und Konzept)
Tanzquartier/Wiener Festwochen
Wh.: 19. und 20. Mai