Und das Meisterwerk von Leonard Bernstein heißt..? Natürlich "West Side Story". Bernstein selbst hat das im höheren Alter jedoch anders empfunden. Er wollte sein Künstlerleben nicht von einem Broadway-Hit gekrönt sehen, sondern einem würdevollen Musiktheater, das es noch zu schreiben galt. Nun sei er "nur zwei Jahre jünger als Beethoven zum Zeitpunkt seines Todes", klagte er 1973, und habe noch immer nicht sein Opus magnum komponiert - eine amerikanische Oper.

Im Nachhinein betrachtet, birgt der Beethoven-Vergleich eine gewisse Ironie. Bernstein hat dann zehn Jahre später sehr wohl ein Werk fertig gestellt, das als Opernklassiker gedacht war, nämlich "A Quiet Place" - in der Familientragödie bündeln sich die großen Themen Amerikas wie unter einem Brennglas. Das Werk erwies sich aber von Anfang an als ebenso problematisch wie seine Protagonisten; ein Erfolg war es nicht. Das zog ähnliche Verbesserungsversuche nach sich, wie sie Beethoven seinem Opernschmerzenskind "Fidelio" angedeihen ließ. Dabei gingen die Mühwaltungen über den Tod des US-Amerikaners hinaus. Nach Bernsteins Fassungen (1986 gab es eine für die Wiener Staatsoper) legte der Komponist Garth Edwin Sunderland Hand an. Er hat "A Quiet Place", um den es verdächtig still geworden war, 2009 auf eine Kammerfassung eingedampft und dabei auch die Länge reduziert.

Seit Donnerstag läuft diese Fassung an der Kammeroper, und es scheint, dass Sunderland eine Ehrenrettung gelungen ist. Die rund 100 Minuten kommen jedenfalls ohne jene Längen aus, über die Zeitzeugen der Staatsopern-Abende noch heute klagen. Die Fassung wirkt auch darum stringent, weil sie auf die Rückblenden verzichtet. Bernstein hat in "A Quiet Place" nicht nur vom Begräbnis einer Familienmutter erzählt und dem Wiedersehen einer schrecklich schweigsamen und bald schon sehr zänkischen Sippe; er schilderte in einem Zeitsprung auch die Liebesgeschichte der Eltern und hat dafür seinen alten, beschwingten Einakter "Trouble in Tahiti" ein zweites Mal verwendet.

Auch in der Kurzfassung bleibt "A Quiet Place" ein Tummelplatz der Stile. Bernstein, Schmelztiegel-Komponist mit Hang zur Zwölftonkunst und Mahler, zu Jazz und Musical-Pathos, zieht hier noch einmal alle Register seiner Kunst. Dass er die Komplexität auf ein Höchstmaß treibt, fordert Sänger und Orchester vor allem im ersten Akt: Die Beerdigung läuft als musikalisch wohl organisiertes Chaos ab, gespeist von einem kurzatmigen Orchesterklang. Erst allmählich weicht das Parlando-Hickhack Melodielinien, die auch süffig ausschwingen können.

Mit welcher Präzision und Inbrunst die Sänger der Neuen Oper Wien dabei agieren (allen voran: Nathan Haller und Daniel Foki), sucht ihresgleichen; auch die ruppige, kampfbetonte Regie von Philipp M. Krenn und das amadeus-ensemble unter Dirigent Walter Kobéra erweisen dem Werk beste Dienste. Mag "A Quiet Place" auch nicht das erträumte Meisterwerk geworden sein: Zum 100. Geburtstag Bernsteins präsentiert es sich in Prachtform.

Oper

A Quiet Place

Wh. bis 2. April (0699/10745907)