
Eigentlich ist es erstaunlich, dass einer wie Stefan Herheim erst jetzt, da er mit dem Starruhm der Opernszene ausgestattet ist und den Vertrag als designierter Intendant des Theaters an der Wien in der Tasche hat, bei der Operette gelandet ist. Da ihn der Chef der Komischen Oper Barrie Kosky nun im 70. Jubiläumsjahr von Berlins quirligstem Opernhaus auf einen der legendären Walter-Felsenstein-Klassiker angesetzt hat, war klar, dass er sich für Jacques Offenbachs "Blaubart" aus dem Jahre 1866 etwas einfallen lässt, was den Geist der zugespitzten Satire ins Heute überträgt. Oder es zumindest versucht.
Wo die Zensur nur Erinnerung ist, muss die Zuspitzung besonders deutlich ausfallen, damit sie als solche erkannt wird. Wenn zur Wiederbelebung der halbtoten Boulotte (Sarah Ferede) aber ein selbstleuchtender Bananen-Dildo zum Einsatz kommt, dann kann man das für einen Tick zu viel des Guten halten. Wenn sich aber in die rebellischen Gesänge von Blaubarts doch nicht ermordeten Exfrauen das "Auferstanden aus Ruinen" von Eislers DDR-Nationalhymne einschleicht, wird das vom Publikum amüsiert goutiert. Wenn das auch sonst fröhlich drauflos kalauernde Haus-Urgestein Peter Renz als König Bobèche die Debatte mit dem Stoßseufzer "Es ist ein Kreuz" beschließt, dann steckt er tatsächlich eins obendrauf. Nachdem er vorher schon alle möglichen Varianten von Halbmond bis Deutsche-Bank-Logo ausprobiert hat. Dass sich in dem neuen deutschen Text Marseillaise und Bouillabaisse in einem Atemzug wiederfinden, ist typisch für die Treffer (oder Querschläger), die Stefan Herheim, Clemens Flick und Dramaturg Alexander Meier-Dörzenbach als Autoren ihrer eigenen Fassung gelandet haben. Das funktioniert alles in allem gut, überbrückt aber den Abstand zu dem, worüber man sich im zweiten französischen Kaiserreich amüsiert hat, nur zum Teil. Ein auf dreieinhalb Stunden "erweitertes" Dauer-Amüsement ist auch anstrengend.
Zumal dieser Offenbach doch eher einem angelassenen als einem auf Hochtouren laufenden Motor ähnelt. Mag sein, dass Herheim deshalb einen Thespis-Karren auf die Bühne rollen lässt. Sozusagen als Keimzelle des Theaterzaubers. Auf dem Kutschbock der Gevatter Tod (Wolfgang Häntsch) und im Geschirr ein Cupido. Grandios, wie Rüdiger Frank diese Rolle seiner verletzlichen, verwachsenen Körperlichkeit anverwandelt, die Sympathien auf sich zieht und dem Tod immer wieder ein Schnippchen schlägt.
Beinahe-Massenmörder
Dem Tod übrigens ist die große Standpauke vorbehalten, die er der Operette, dem Theater und dem Publikum verpasst. Aus dem Theaterwagen entfaltet sich Christof Hetzers ganzes Bühnenbild (dessen technische Tücken für eine Verschiebung des Premierentermins um eine ganze Woche sorgten).
Was im Vergleich dazu wie geschmiert lief, war das Räderwerk aus Protagonisten und Chor. Mit Wolfgang Ablinger-Sperrhacke stand ein typgerecht aufgeblasener Blaubart als Beinahe-Massenmörder auf der Bühne. Vera-Lotte Böcker ist eine zur Prinzessin bestens taugende Fleurette, und mit Johannes Dunz bekommt sie am Ende einen im barocken Outfit hinreißenden Prinzen Saphir. Zwischen Blaubart und seine Frauen ist der Giftmischer Populani (Tom Erik Lie) gesetzt, dessen Loyalität zu seinen Gelüsten größer ist als die zu seinem Herrn. Er hat nicht gemordet, sondern sich seinen privaten Harem zusammengesammelt, mit dem er - wie seine SM-Montur verrät - seine Spielchen veranstaltet.
Stefan Soltész und das Orchester der Komischen Oper bewährten sich im Offenbachmodus, versuchten aber nicht so zu tun, als könnten sie das diesmal nicht ganz so mitreißende Timing nachliefern, das auf der Bühne fehlte.