In diesem Bergdorf ist alles dunkelgrau, die Wände, die Felsen, die alpinen Sessel, sogar das Kaffeehäferl. Nur die lieblichen Volksweisen der Männer in Tracht schenken ein wenig Trost - auch wenn die davon singen, dass das kleine bisschen Glück "irgendwo auf der Welt" ist - aber hier halt nicht. Kein Wunder, dass sich Ulpian Tilo (Branko Samarovski) zwecks Aufhellung den Rasierschaum, den er Schlagrahm nennt, im Gesicht stehen lässt.
Und auch kein Wunder, dass sein Enkel Florian Tilo (beflügelt bis zum Größenwahn: Sebastian Wendelin) das Glück in Afrika sucht - mit der Unterstützung seines verstorbenen Urgroßvaters Claudius, dessen Konterfei dramatisch beleuchtet bedrohlich aus dem Herrgottswinkel strahlt. Aber nicht lange, denn schon bald wird diese "Ikone" von einer anderen ersetzt: Eines Nachts gebiert der Gebirgsbach einen Elefanten, der sich im Stubenfenster der Tilos mit seinem Rüssel verfängt. Gleichzeitig wachsen überall Palmen, selbst statt dem Gipfelkreuz, und es wird tropisch heiß.
Stück war verschollen
"Der Rüssel", so heißt das Stück, das am Freitag im Akademietheater uraufgeführt wurde, ist ein Frühwerk von Wolfgang Bauer, der später mit Dramen wie "Magic Afternoon" oder "Change" berühmt werden sollte. Er hat die Elefantenparabel als 21-Jähriger im Jahr 1962 verfasst - doch dann ging das Stück verloren. Die Spur führte zu einem Komponisten, der eine Vertonung überlegen sollte. Wiedergefunden wurde das verschollene Werk 2015 im Stadtmuseum Leibnitz im Nachlass des steirischen Komponisten Franz Koringer. Bauer soll die Suche nach dem Stück sein Lebtag lang nicht eingestellt haben. Der Dramatiker starb 2005 im Alter von 64 Jahren.
"Der Rüssel" entstand merkbar unter dem Einfluss des Absurden Theater von Eugene Ionesco und Co, das damals en vogue war: Der Einbruch des Bizarren in das Bauernstuben-Volksstücksetting, die Sprache, die elaborierte Verrücktheit zelebriert, wie die Vorstellung, dass sich Afrika durch den Erdball durchbohrt, um mit Flora und Fauna das Gewohnte, das Heimische zu verdängen. Mit dem Neuen wird alles bunter und beschwingter - aber auch schlagartig autoritär.
Ein wenig fehlt es dem jung verfassten Stück noch an der Bauer-eigenen dramatischen Wucht. Das kann aber teilweise auch an einem Regiekniff liegen, den Christian Stückl hier vorgenommen hat: Er hat die Chronologie des Stückes, die eigentlich irritierend unlogisch ist, in die "richtige" Reihenfolge gebracht. Nun wird der Außenseiter Florian nicht mittendrin am Kreuz-Galgen vom wütenden Mob aufgeknüpft, sondern erst, nachdem erklärt ist, warum es dazu kommt. Dadurch verliert "Der Rüssel" im zweiten Teil aber an Schwungkraft.
Sonst ist die Inszenierung in ihrer auf gewisse Weise ordentlichen Form der Groteske aber durchaus dienlich, manche Schwächen vergessen zu lassen. Dem Absurden alle Ehre machen die bunten Bastfransen-Strick-Overalls (Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier), die alle Afrika-Infizierten tragen. Nicht nur optisch, auch musikalisch wird eine Grenze gezogen: Die Volksweisen schlagen um in afrikanische Beats mit "König der Löwen"-Soundtrack-Anmutung (Musik: Tom Wörndl, Gesangskapelle Hermann).
Larmoyanz und Lügen
Das Schauspielensemble tut das seine, um Bauer posthum glänzen zu lassen. Barbara Petritsch ist eine larmoyante Großmutter, die sich das Bastcape genauso schnell umhängt, wie sie es wieder ablegt - wie es sich gerade günstig ergibt. Branko Samarovski ist der alte Geilbock, dem die Elefantenchose schnell zu heiß wird. Stefanie Dvorak gibt die Verlobte des Elefantenführers Florian aufgeschlossen bis gottergeben. Peter Matic glänzt im bunten Strampler als schlauer Kolonial(!)warenhändler. Besonders stechen aber Falk Rockstroh als Bürgermeister und Markus Meyer als Kaplan, der große Widersacher der Afrika-Idee, hervor - sie liefern sich einen brillant-irrwitzigen Dialog zwischen "Wir schaffen das!" und "Du sollst nicht lügen!"
Das ist das Bemerkenswerte an "Der Rüssel": Dass man unwillkürlich allerlei aktuelle Themen hineininterpretiert - von Migration im Großen und im Kleinen (die Verdrängung der "alpinen Ameise"!) bis zum Klimawandel. Man muss aber nicht.