Luftschlacht um England 1940/41. Die Theaterkunst trotzt in ihrer - wenigstens auf dem Papier - edelsten Blüte, nämlich mit Shakespeares "König Lear", den Luftschutzsirenen. Der altersgrantelnde Prinzipal einer Tourneetruppe will es noch einmal wissen: "Lear" heute zum 228. Mal. "Ich kann nicht, darf nicht, will nicht absagen." In Ronald Harwoods 1980 uraufgeführter Tragikomödie "Der Garderober" verkörpert dieser "Sir", wie ihn alle nennen, den immergrünen Kasperlmythos wie auch den Durchhaltewillen der Engländer unterm Hagel deutscher Bomben.

Ronald Harwood, Jahrgang 1934, Kind jüdischer Einwanderer, stieß mit zwanzig zu einer solchen Wandertruppe als persönlicher "Dresser" eines letzten legendären Theaterfossils. Liebevoll, doch auch eine Spur angeekelt, blickt er zurück auf seine Jugend als Schammes zwischen Schminktischen und Ruhebetten in wechselnden Garderoben.
Harwoods Mischung aus Selbsterfahrenem und Anekdoten ist freilich längst geschlagen von den Theaterkult-Gedichten Thomas Bernhards. "Minetti" und der tyrannische "Theatermacher" im Dorfwirtshaus von Utzbach wären undenkbar ohne allhöchste Präzision. Während auf Harwoods Hinter-der-Bühne-Bühne die besten Schauspieler eingerückt sind. Doch übrig gebliebene Schmieranten zu mimen, fordert ein besonders rares Talent.
Abgedunkelte Lichter
Die Josefstadt leistete sich den in großen Opernhäusern erfolgreichen Cesare Lievi als Regisseur. Wie schon vor drei Jahren für Bernhards "Am Ziel" mit Andrea Jonasson im Haupthaus. Für die Kammerspiele erwies sich der feinnervige Italiener als Fehlinvestition. Unterhaltungsprofis wären dort gefragt, pointenhungrige Kraftmeier, die auch im ärgsten Klamauk tragische Lichter setzen. Bei der Besetzung wurde gespart. Für die Wiener Inszenierung 1983 war die erste Damenriege aufgeboten: Marion Degler als Sirs Lebensgefährtin und Lears Cordelia, und Marianne Nentwich als schmachtende, doch unerhörte Inspizientin. Martina Stilp und Elfriede Schüsseleder sind noch nicht so weit.
Hölzern die Eingangskonversation über den prekären Gesundheitszustand des Chefs von "Mylady" Stilp mit Martin Zauner, dem Titelrollenträger. Dessen für jede Überraschung gute bodenständig-komische Kraft reduziert die Regie zu theaterblutarmem Phlegma. Ein Garderober? Eher ein Fundusverwalter. Kaum spürbar macht er das Band einer Hassliebe, die ihn der Egomanie seines Herrn ausliefert - aber auch Macht über ihn sichert. Kurt Nachmann mischte 1983 Unterhalter-Routine mit jüdischer Wehmut, jüdischem Witz. Die eine wie der andere fehlen heute im Ensemble. Wird über Ärzte, Theaterkritiker oder "drittklassige Nebendarstellerinnen" hergezogen, wagen sich Lacher hervor. Mit sanfter Melancholie entzückt immerhin Alexander Strobele im karnevalsreifen Narrenkostüm der Altmeisterin Birgit Hutter.
Michael König rettet den Abend. Sein imposantes Altersgesicht bekommt in der Schminkmaske die richtige wahnhafte Starre. Im verschlissenen Königsmantel wie im Strotterkittel steckt auch der Kobold, der die Frauen um ihn auf Trab hält. Sogar noch über den Tod hinaus. Ihm glaubt man die Angst vor der Einsamkeit ohne Publikum und den Drang, seine Memoiren zu schreiben - damit etwas vom Leben und der Kunst bleibt. Jäh fällt zum Schluss hinten auf der Bühne ein Vorhang, auf den Maurizio Balò ein Sinnbild vom Ende des Theaters applizierte: rote Theatersessel ausgestreut wie auf einer Schutthalde. Finita la commedia? Ja, doch gefühltermaßen etwas zu spät.