Als Titus Tiel Groenestege und Geert Lageveen zum ersten Mal ihren neuen Arbeitsplatz betreten, sind sie verzückt. Vor den langen Reihen mit Tomatenpflanzen sind frische Bretter verlegt. Dahinter erhebt sich eine Tribüne, steile Reihen dunkelblauer Plastikstühle, im Halbkreis angeordnet, eine Spur Amphitheater im kargen Hinterland der Wattenküste. "Was haben wir uns da bloß ausgedacht!", sagt Lageveen. Groenestege grinst. Was sie sich ausgedacht haben, ist ein Musiktheater-Stück im Gewächshaus, mitten in einem Komplex, in dem Snack-Gemüse für eine Supermarktkette gezogen wird.

Der Ort: Sexbierum, ein Anderthalbtausend-Seelen-Örtchen, in der Mitte eine Kirche, dazu Bäcker, Fleischer, Mechaniker, Tankstelle, und dann der vollverglaste Gemüse-Archipel. "Selbst für Friesland ist das hier Provinz", sagt Geert Lageveen, der in der Nähe geboren ist. Sein Ko-Autor Titus Tiel Groenestege, der auch Regie führt, wuchs ebenfalls in Friesland auf. Mit Orkater, ihrer Theatergruppe aus Amsterdam, sind sie nun für die heiße Phase der Proben zurückgekehrt.

Angemietetes Gewächshaus


"Lost in the Greenhouse" wird bis Ende Mai in einem speziell angemieteten Gewächshaus aufgeführt. Fast alle Tickets sind inzwischen vergriffen, es verspricht eine der Erfolgsgeschichten des aktuellen Festivals European Cultural Capital zu werden, dessen eine Hälfte dieses Jahr im maltesischen La Valetta stattfindet, die andere im niederländischen Leeuwarden - jedoch nicht ausschließlich: Die Veranstaltungen sind über die gesamte Provinz Friesland verteilt.

Friesland gilt in den Niederlanden an sich schon als peripher. Vom Rest des Landes ist die Region durch einen 30 Kilometer langen Deich zwischen Nordsee und Ijsselmeer getrennt. Aus den Metropolen im Westen dauert es mit öffentlichen Verkehrsmitteln drei Stunden bis hierher. Wer aus dem Bus steigt, bemerkt als Erstes einen Wind, der den Duft von Rinderdung trägt.

Mit gelben Plastikkisten ausgerüstet, ziehen die Orkater-Schauspieler in die Tomatenreihen. Kilo um Kilo ernten sie, ein polnisches Lied singend, das übersetzt "An die Arbeit" heißt. Lageveen sagt, es sei vom kommunistischen Arbeitsethos inspiriert. Man sieht aber auch die Konkurrenz-Kultur im spätkapitalistischen Westeuropa, wo sich die polnischen Arbeiter dank Freizügigkeit und Binnenmarkt legal verdingen, für eine Saison oder für viele. Ein Vormann treibt sie an, zählt die Erträge, ernennt die Arbeiterin des Tages, bis die Schicht auf der Gewächshaus-Galeere vorbei ist.