Tanz ins Unglück: Julia Stemberger, Sascha Oskar Weis. - © Dimo Dimov
Tanz ins Unglück: Julia Stemberger, Sascha Oskar Weis. - © Dimo Dimov

Man würde sie schon gerne kennenlernen, diese "Cella", aber Nicolaus Hagg lässt die Titelfigur in seiner Dramatisierung von Franz Werfels Romanfragment für die Festspiele Reichenau nie auf die Bühne. Die 14-jährige hochbegabte Pianistin bleibt geheimnisvoll im Hintergrund, während die Wirren und Schrecken des Jahres 1938 über Österreich hereinbrechen.

De facto steht der in Eisenstadt lebende jüdische Anwalt Hans Bodenheim, im Ersten Weltkrieg für seine Tapferkeit in der österreichischen Armee vom Kaiser ausgezeichnet, im Zentrum der Handlung. Er fiebert dem ersten Konzert seines "Wunderkindes" Cella, das für den 12. März 1938 angesetzt ist, entgegen. Sein Jugendfreund Zoltan Nagy bereitet es mit dem Prinzen Ernst Esterhazy vor. Die Sorgen seiner Umgebung, auch seiner Frau Gretl, angesichts der politischen Entwicklungen teilt Hans anfangs nicht. "Sind sie hauptberuflich Optimist?", fragt ihn deshalb Professor Scherber, Cellas fünf Jahre zuvor aus Berlin nach Wien emigrierter Klavierlehrer.

Gefängnis oder Selbstmord

Ein Gespräch mit dem jüdischen Industriellen Weil, der von Anpöbelungen durch "Weißstrümpfe" berichtet, beginnt Hans die Augen zu öffnen. Oberstleutnant Grollmüller, der Vorsitzende des Veteranenvereins "Eiserner Ring", dem Bodenheim im Burgenland als führender Funktionär angehört, sieht in einer Rückkehr zur Habsburger-Monarchie die einzige Chance für die Rettung Österreichs. Doch die Machtergreifung der Nationalsozialisten kommt schneller, als alle ihre Gegner erwartet haben. Die einen - Industrieller, Adeliger, Rechtsanwalt, Priester, dazu auch ein Einbrecher - landen im Gefängnis, die anderen begehen Selbstmord - durch Erschießen oder einen Sprung aus dem Fenster.

Hagg hat aus dem Roman, der 1977 mit Walther Reyer in der Hauptrolle verfilmt wurde, ein hochpolitisches Stück gemacht, in dem vor allem der Nationalismus ("nur Futter für die misera plebs") sein Fett abbekommt und man für die Weltherrschaft durch "kulturelle Eiszeit" bezahlen muss. Das Stück ist stark an Werfel angelehnt, muss aber zwangsläufig einige Inhalte ausblenden, zum Beispiel "Die wahre Geschichte vom wiederhergestellten Kreuz" über das Judenpogrom in Parndorf vom Frühjahr 1938. Deren Erzähler, Kaplan Felix, ein ins Burgenland versetzter Wiener Arbeiterpriester, kommt aber auch in der Dramatisierung vor. Die Annäherung von Judentum und Christentum gehörte ja zu den Hauptanliegen von Franz Werfel, der 1940 über Lourdes in die USA flüchtete und dort mit seinem Roman "Das Lied von Bernadette" großen Erfolg hatte. Peter Loidolt hat nur die nötigsten Möbel in den Neuen Spielraum von Reichenau gestellt, in dessen Mitte ein hervorragendes Ensemble die bis zum Ende die Spannung haltende Inszenierung von Michael Gampe trägt. Zur dichten Atmosphäre tragen die eingespielten Reden von Kurt Schuschnigg und Joseph Goebbels ebenso bei wie die als Musikbrücke dienende alte Haydn-Melodie, sowohl als Kaiserhymne als auch als Deutschlandlied bekannt.

Realitätsnahe Frau

August Schmölzer, sonst durchaus fähig zu dröhnenden Auftritten, nimmt sich als Hans Bodenheim gekonnt zurück - ein Mensch, der zutiefst an das Gute glaubt und schwer enttäuscht wird. Sein Schicksal warnt davor, blauäugig auf einen Abgrund zuzugehen. Julia Stemberger begegnet ihm als seine realitätsnähere, ein Geheimnis bewahrende Frau Gretl auf Augenhöhe. Dem gemeinsamen Jugendfreund Zoltan Nagy gibt Sascha O. Weis genau jene Züge, die seiner Charakterisierung im Stück - "Das Wasser, wo der nicht oben schwimmt, ist noch nicht erfunden" - entsprechen.

Virtuos mimt Martin Schwab den Klavierpädagogen Scherber, souverän André Pohl den Industriellen Weil, martialisch Toni Slama den alten Soldaten Grollmüller, sympathisch Philipp Stix den Kaplan Felix, bodenständig Gerhard Roiss den Einbrecher Hipfinger. Als Aristokrat Esterhazy glänzt David Oberkogler vor allem in einer Schwips-Szene. Der Premierenapplaus konnte sich hören lassen.