Mit viel Rauch- und Feuerzauber: "Die letzten Tage der Menschheit" in der Wiener Neustädter "Serbenhalle". - © Sebastian Kreuzberger
Mit viel Rauch- und Feuerzauber: "Die letzten Tage der Menschheit" in der Wiener Neustädter "Serbenhalle". - © Sebastian Kreuzberger

Paulus Manker am Ziel nach einem Rennen um Geld und Raum, das länger dauerte als der Erste Weltkrieg. Sein Mahler-Werfel-Drama "Alma - A Show Biz ans Ende" war nur ein leichtgewichtiges Vorspiel, will man nun meinen, vor den "Letzten Tagen der Menschheit", dem Traum und Albtraum altösterreichisch fermentierter Diener an Karl Kraus’ messerscharfem Wort - wie schon vor diesem hypersensiblen Polterer von Leopold Lindtberg (Burg), Hans Krendlesberger (ORF-Radio), Hans Hollmann (Basel), Hans Kresnik (Bremen), Hans Gratzer (Reichenau), Georg Schmiedleitner (Burg). Sie alle durften erste Kräfte aus den Ensembles ihrer Häuser wählen. Manker füllt am Rand Wiener Neustadts mit einem 30-köpfigen, mehrheitlich weiblichen Ensemble ohne große Plakatnamen, doch viel Rauch- und Feuerzauber eine Industrie-Ruine. Megalomanie prallte auf Budgetnot und gebar ein honoriges und bejubeltes Spektakel.

Doppelt codierte "Serbenhalle"

Die Magie der "Serbenhalle" verdankt sich doppelter Codierung: 1943 wurde sie mitsamt den Zwangsarbeitern aus der serbischen Waffenschmiede Kraljevo ins Areal einer Waffenfabrik aus dem Ersten Weltkrieg übertragen. Auf den 200 Metern Bahngleis in ihrer Längsachse kommt ein Bühnenwaggon bis zur Tingeltangelbühne an der Stirnwand (Raumkonzept Georg Resetschnig) vorgefahren. Mit Trödelware sind Salons, Militärbüros und ein Lazarett eingerichtet und allerorten hinreichend Sessel für das vazierende Publikum aufgestellt. Vor der ganzen Stunde Dinnerpause an festlich rot gedeckten, runden Tischen bekommt es schon Kaffee, Prosecco, Fingerfood gereicht. Hätte Manker Abendkleidung vorgeschrieben, wüchse seinem Gesamtkunstwerk auch ein bourgeoiser Anschein zu. Man darf im Güterwagen aus der Halle ins Grüne mitfahren, wenn dort Philanthropen, wie im Prater 1915, einen Schau-Schützengraben vorstellen.

Das Programmbuch tut allerbeste Dienste mit hunderten Bilddokumenten sowie QR-Codes zum Textoriginal. Denn jeder Gast muss Auftritte versäumen, weil viele der 75 Szenen (von 200 im Buch) synchron ablaufen. Doch allemal lieber hängen bleiben an Alexander Waechter als jammerndem und zankendem jüdischem Hofrat Schwarz-Gelber - als nebenan beim Kommers, bei dem das furchtbare antisemitische Lied gesungen wird, das in einer Wiener Neustädter Burschenschafterbude gefunden wurde. Waechter, in wenigen Tagen 70, wuchs ins rare Charakterfach der Wiener Grantler und Rechthaber nach, in Domänen von Fritz Muliar und Otto Schenk. Eingangs gibt er den richtigen Satire-Ton als Hofrat Nepalek vor, der 1914 das Trauerzeremoniell schaukelt. Nicht alle Mitspieler vermögen ihm zu folgen.

Hautnah drängen sich "Extraaablatt"-Ausrufer durch die Zuschauer, wenn am 28. Juni 1914 mit dem Thronfolgermord in Sarajewo die alte, längst wackelige Ordnung zu bersten beginnt. Von Karl Kraus als Totengräber angeklagt: die Presse. In diese Wunde, sie heißt "Neue Freie Presse" und "Reichspost", legt Manker deutlich genug seine Regiehand. Kaiser und Offiziere sind ordensträchtig aufgetakelt, die gemeinen Männer als graue Mäuse montiert. Den besessenen Moriz-Benedikt-Leser Biach kleidet Aleksandra Kica in einen Kaftan. Nicht jede Szene folgt dem Original getreu. Manker lässt Biach auf der Brettlbühne sterben. In einer Textmischkulanz büßt der Lebensmittelwucherer Chramosta seinen sicheren Effekt ein. Reichlich die Stimmungsmusiken Lukas Kletzanders zwischen "Gott erhalte" und "Rosa, wir fahr’n nach Lodz".

Dröhnend leiser Schlusspunkt

Nach sechseinhalb Stunden endet der bei Tageslicht begonnene Weltkrieg mit einem nächtlichen Offiziersgelage. Betrunkene, Grölende, Torkelnde darzustellen verlangt auf der Bühne höchste Präzision. Doch nun zeigt das durch Halle und Zimmerfluchten gejagte Ensemble schon Zeichen der Erschöpfung. Im 800-Seiten-Buch folgen grausige Phantasmen von Exekutionen, Verhungernden, Flüchtlingen, sprechenden Raben über Leichenbergen - die meisten undarstellbar. Manker wählte als dröhnend leisen Schlusspunkt den Brief einer einfachen Frau, die ihrem Mann ins Feld schreibt, dass sie ihn tot glaubte und von einem anderen schwanger wurde. Eine Abkehr vom apokalyptischen Pathos, das Karl Kraus steigerte bis zum Zuruf Gottes: "Ich habe es nicht gewollt." Sein Fingerzeig: Dieser Krieg zerstört auch bei kleinen Leuten im Dorf, was human und heilig war. "Vielleicht stirbt das Kind und dann ist alles wieder gut."