
Wien. Dass Bernhard Paul ein hingebungsvoller Sammler ist, merkt man nicht zuletzt daran, dass sogar in der Bar in seinem Salonwagen historische Likörflaschen stehen. Bis 5. Oktober gastiert Paul mit seinem Circus Roncalli wieder auf dem Wiener Rathausplatz. Beim Interview ebendort muss der Zirkusdirektor, der auch ein geduldiger Gastgeber ist, schon mal Passanten erklären, dass es das Ticket nicht bei ihm, sondern an der Kassa gibt. Im Gespräch lässt Paul, der trotz Zirkusleben immer noch eine Wohnung am Naschmarkt hat, durchblicken, dass er die Hoffnung nicht aufgegeben hat, seine riesige Zirkus- und Varieté-Sammlung, beziehungsweise jene von Alltagskultur der Jahrhundertwende (etwa historische Geschäftseinrichtungen) in Wien in einem Museum zusammenzuführen.
"Wiener Zeitung": In einem Interview 1991 haben Sie gesagt, im Jahr 2000 wird’s keinen Zirkus mehr geben. Scheint, als hätten Sie sich getäuscht...
Bernhard Paul: Nein, ich weiß ja, wie ich’s gemeint habe. Diese Art von Zirkus, wie ich sie als Kind erlebt habe, mit Kamelen, Tigern, Löwen, die ist ausgestorben. Insofern hab ich recht gehabt. Roncalli ist die Mutter aller Schlachten des modernen Zirkus. Wir waren die Ersten ohne Tierschau. Guy Laliberté, Chef des Cirque de Soleil, hat in einem Interview gesagt: Ohne Roncalli wäre Cirque de Soleil nicht möglich. Es gibt jetzt eine Reihe alternativer Zirkusprojekte, zum Teil sehr künstlerisch, auch zu Tode gedacht. Der Zirkus ist nie stehen geblieben.
Gibt es, etwa im Vergleich Deutschland - Österreich, ein Publikum, das eher Zirkusprofi ist?
Man merkt, dass das Wiener Publikum ein Theater- und Konzertpublikum ist. Also Clownszenen, die sehr theatralisch sind, werden besonders honoriert. Das sind keine Zuschauer, die gleich klatschen, wenn man reingeht, die klatschen, wenn’s gut war. Zirkus ist eine Kunstform, der braucht einen Künstler. Aber es ist schwierig, es gibt kaum Nachwuchs, keine Ausbildungsstätten.
Warum haben Sie keine Schule gegründet?
Ich wollte, aber das ist unglaublich teuer. Ich gehe auf Talentsuche, bin mir auch nicht zu gut, in der ORF-Show "Die große Chance" Jury zu spielen. Zwei Leute von dort habe ich jetzt im Programm, ein Franzose ist in der Clowntruppe. So sollte man Talentshows machen, den Talenten helfen und sie nicht nur verarschen und wieder heimschicken.
Aber haben nicht diese Talentshows die Artistik für ein größeres Publikum in den Fokus gebracht?
Schauen Sie, was soll eine Frau Marolt (Larissa Marolt, neu in der Jury der "Großen Chance", Anm.) beurteilen können, wer gut singen kann oder gut jonglieren. Die kann nicht einmal einen Handstand. Ich kann mit den Leuten, die nichts leisten, die nur ihren Kopf in die Kamera halten, nichts anfangen. Die nehmen denen die Sendezeit weg, die was können.
Gibt es im Zirkus auch Modeerscheinungen?
Ich bin ein Feind des Zeitgeistes. Das ist die verderblichste Ware, noch verderblicher als ein Faschiertes. Wir wollen selber der Zeitgeist sein, wir machen Dinge, die andere nachmachen. Das fängt beim Logo an, von Mexiko bis Italien gibt es vier oder fünf Circus Roncalli, mit y am Schluss, oder nur mit einem l...
Unternehmen Sie dann etwas?
Wie denn? Die haben ja nicht einmal eine Adresse...
Sind die künstlerischen Zirkusprojekte eine Modeerscheinung?
Ja, das fällt eher unter Zeitgeist. Wenn ich die zehnte Nummer seh, wo der Artist am Boden liegt und man glaubt, er schlaft oder ihm ist schlecht und dann wankt er träumend durch die Gegend, denk ich mir: Wos soll des? Es gibt auch welche, die sagen, Flitterkostüme geht gar nicht mehr! Da hab ich mal zwei Jongleure gesehen, die hatten nur so ein Eiersackerl an. Und eine Krawatte. Aber die konnten nicht wirklich gut jonglieren. Davon sollte wohl das Eiersackerl ablenken. Das kann’s ja nicht sein.
Leistung ist Ihnen sehr wichtig?
Wenn ich vor einen hintret’ und etwas mache, dann muss ich etwas können, was ein anderer nicht kann. Das ist dasselbe wie mit dem Genderwahnsinn. Ich finde auch, diese ganze Quotenfrage ist eine Diskriminierung der Frau, eine Frau soll durch ihr Können Chefin werden. Bei mir sind fast alle Ressorts mit Frauen besetzt, da bin ich erst später draufgekommen. Ich brauch eigentlich eine Männerquote...
Das könnte man Ihnen jetzt mit bösem Willen wieder sexistisch auslegen...
So gesehen... Man muss ja nur mehr aufpassen!
Haben Sie Lieblings-Zirkusfilme?
Da gibt es mehrere. "Zirkus Saran" mit Hans Moser, der wurde im österreichischen Zirkus Rebernigg gedreht, Moser spielt den Clown und Zirkusdirektor. Dann gibt’s "Grock", ein Dokuspielfilm über den berühmten Clown, wegen dem hab ich beschlossen, Clown zu werden. Dann gab es UFA-Filme wie "Sterne über Colombo", den hat der Zirkus Busch im heutigen Sri Lanka gedreht! Unglaublich. Leider wird so etwas heute nicht mehr gedreht. Außer "Wasser für die Elefanten", aber der hat nur das negative Klischee gezeigt.
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