Erik Schinegger kommt im Sommer 1948 im kärntnerischen Agsdorf zur Welt - als Erika, denn äußerlich scheint das Kind ein Mädchen zu sein, wenn auch mit einem verkümmerten Geschlechtsorgan. In Wahrheit handelt es sich dabei um einen Hoden, die restlichen männlichen Geschlechtsmerkmale sind nach innen gewachsen, was aber trotz mehrmaliger Untersuchungen nicht erkannt wird. "In der Schule hat man mich mit 14 wieder untersucht," erinnert sich Schinegger, "und einen Bruch diagnostiziert, obwohl es mein zweiter Hoden war, innen in der Leistengegend." Erika wird somit von Kindheit an als Mädchen erzogen. Als die Menstruation ausbleibt und Schinegger sich für lesbisch hält, weil er sich zu Mädchen hingezogen fühlt, sucht er irritiert nach Ablenkung. "So bin ich zum Sport geflüchtet." Eine äußerst erfolgreiche Flucht, wie sich herausstellen soll.
Weltmeisterin in Chile
Bei der Weltmeisterschaft 1966 im chilenischen Portillo erlebt die Schination Österreich eine der größten Enttäuschungen. Nur vier Medaillen können errungen werden, umso überraschender daher, dass Debütantin Erika Schinegger die scheinbar übermächtigen Französinnen schlagen kann. Die neue Weltmeisterin wird in ihrer Heimat enthusiastisch gefeiert. "Da war ich die große Nummer," kann Schinegger ein Lächeln nicht verbergen. "Alle waren sie um mich herum, die ganze Presse, der Karl Schranz, alle." Der brutale Absturz folgt keine zwei Jahre später, als vor den olympischen Spielen in Grenoble erstmals der sogenannte Sex-Test (eine Speicheluntersuchung) eingeführt und Schineggers XY-Chromosom zweifelsfrei nachgewiesen wird. Der ÖSV reagiert prompt und verlangt von der Weltmeisterin, sich "aus persönlichen Gründen" vom Sport zurückzuziehen. "Da ist eine Welt für mich zusammengebrochen," offenbart Schinegger. "Der Sport war für mich das Ein und Alles."
Hormonkur oder Operation?
Schinegger steht nun vor einer folgenschweren Entscheidung. Familie und ÖSV wollen einen Skandal vermeiden und drängen zu eine Hormonkur, die ein Leben als (gebärunfähige) Frau ermöglichen würde. Eine Operation böte dagegen die Chance, ein zeugungsfähiger Mann zu werden. Erika entscheidet sich für die Operation. Ein sechsmonatiger Spitalsaufenthalt ist die Folge und für Schinegger "die einsamste Zeit meines Lebens. Meine Mutter und eine Freundin sind einmal gekommen, sonst war ich allein, das hat irrsinnig wehgetan. Alle haben mich wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen."
Das Leben als Erik
Aus dem Spital entlassen, kennt Erik nur ein Ziel: "Ich wollte allen beweisen, dass ich ein vollwertiger Mann bin." Er kauft sich einen Porsche, heiratet und beginnt eine zweite Karriere im Herrenteam. Doch das Happy-End lässt auf sich warten. Die Gemeinde entzieht ihm den Grund, "nur weil Erika nicht mehr Erika war" und der ÖSV verfügt trotz Bestzeiten ein Trainigsverbot. Freude bringt dafür die Geburt seiner Tochter Claire. Schinegger glücklich: "Da hab ich dann auch den letzten Zweiflern meine Männlichkeit beweisen können."
Heute führt Erik Schinegger mit seiner zweiten Frau die größte Kinderschischule Kärntens - in seinem Heimatort, wie er betont: "Den einfachen Weg wollte ich nicht wählen, ich wollte nie aus Agsdorf flüchten." Das Verhältnis zur Gemeinde ist mittlerweile normalisiert, zu den Bewohnern auch, die Erika scheint es nicht mehr zu geben, oder? "Wenn jemand hinter mir den Namen Erika ruft," beichtet Schinegger, "kann es schon passieren, dass ich mich umdrehe. So einfach kann man das alles eben nicht vergessen."
Erik(A), der Dokumentarfilm von Kurt Mayer über Erik Schinegger, läuft am 14. Jänner 2005 in den Kinos an.