Es wurde doch einer der Kritiker-Favoriten: Die Goldene Palme der 72. Filmfestspiele Cannes ging am Samstagabend an einen der wenigen unter den 21 Wettbewerbsfilmen, bei denen gelacht werden durfte. Freilich bleibt einem das Lachen irgendwann im Hals stecken, denn der Film "Parasite" ("Gisaengchung") des Südkoreaners Bong Joon Ho kippt gegen Mitte in einen Thriller, in dem auch viel Blut fließt.
"Vielen Dank. Ich fühle mich sehr geehrt. Ich war immer sehr inspiriert vom französischen Kino, ich danke Henri-Georges Clouzot und Claude Chabrol", erklärte der 49-Jährige, der als erster Regisseur seines Landes den Hauptpreis des Festivals entgegennehmen durfte. Sein Film setzt auf Sozialkritik im Kleid einer Komödie. Er zeigt eine unter ärmlichen Verhältnissen lebende Familie, die sich in einer raffinierten Art von Home-Invasion in das Leben und das Haus eines erfolgreichen Unternehmers einschleicht. Der Sohn bewährt sich zunächst als Englischlehrer der Tochter des reichen Mannes, doch schon bald ist dank einiger Betrugs- und Täuschungsmanöver auch der Rest der Familie als Chauffeur, Haushälterin und Kunst-Therapeutin engagiert, ohne dass die Arbeitgeber die familiären Bande zwischen ihren neuen Angestellten ahnen.
Während die Filme der großen US-Stars Terrence Malick und Quentin Tarantino ganz leer ausgingen, konnte der Film "Little Joe" der Österreicherin Jessica Hausner einen schönen Erfolg landen: Der Preis für die Beste Schauspielerin ging an die Hauptdarstellerin des Films, die in Manchester geborene Emily Beecham. Die Schauspielerin mit britischem und US-Pass spielt in der ästhetisch beeindruckenden Mischung aus psychologischem Thriller und Science-Fiction eine alleinerziehende Gentechnikerin, die eine betörend schöne, aber offenbar auch gefährliche Pflanze entwickelt hat. "Ich habe heute Früh einen Anruf bekommen und rasch meinen Koffer gepackt, aber ich habe vergessen, mir die Zähne zu putzen", erzählte die 35-Jährige, als sie ihre Auszeichnung aus den Händen des Schauspielers Reda Kateb entgegennahm, von ihrer morgendlichen Überraschung.
Antonio Banderas wurde für seine ergreifende Darstellung eines alternden Regisseurs in "Dolor y Gloria" von Pedro Almodovar als Bester Darsteller geehrt. "Dieser Abend, das ist mein Abend des Ruhms", sagte der 58-jährige Schauspieler, der sogleich seinen Regisseur Pedro Almodovar würdigte, der viel Autobiografisches in den Film einfließen ließ. "Ich respektiere, ich bewundere, ich liebe ihn. Er ist mein Mentor, und er hat mir so viel gegeben, dass ich diese Ehrung ihm widmen möchte."
Zwei der vier Regisseurinnen im Wettbewerb wurden mit Auszeichnungen bedacht: Der Große Preis der Jury, der zweitwichtigste Preis des Festivals, ging an Mati Diop für ihren Film "Atlantique". In dem märchenhaften Drama erzählt die 36-jährige Französin eine tragische Liebesgeschichte im Senegal. Der Drehbuchpreis ging an die 40-jährige Französin Celine Sciamma für "Portrait on a Lady on Fire". Ihr praktisch ohne Männer auskommender und im 18. Jahrhundert spielender Film über eine Malerin, die sich in ihr Modell verliebt, war zuvor hoch gehandelt worden.
Den Regie-Preis konnte das belgische Brüderpaar Jean-Pierre und Luc Dardenne für "Le jeune Ahmed", das Porträt eines sich radikalisierenden 13-jährigen Muslims, entgegennehmen. Der Preis der Jury ging ex aequo an das Sozialdrama "Les Misérables" des jungen Franzosen Ladj Ly und an die Gesellschaftssatire "Bacurau" der Brasilianer Kleber Mendonca Filho und Juliano Dornelles.
Die Preisträger im Überblick:
Goldene Palme: Bong Joon Ho für "Parasite"
Großer Preis des Festivals: Mati Diop für "Atlantique"
Bester Schauspieler: Antonio Banderas in "Pain and Glory" von Pedro Almodovar
Preis der Jury: ex aequo an "Les Misérables von Ladj Ly und "Bacurau" von Kleber Medonca Filho
Beste Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne für "Le jeune Ahmed"
Beste Schauspielerin: Emily Beecham für "Little Joe" von Jessica Hausner
Bestes Drehbuch: Celine Sciamma für "Portrait d'une jeune femme en feu"
Besondere Erwähnung: Elia Suleiman für "It Must Be Heaven"
Camera d'or (Betser Erstlingsfilm): "Nuestras Madres" von César Diaz
Bester Kurzfilm: "La distance entre le ciel et nous" von Vasili Kekatos