Tobias Moretti als Maler von "entarteter Kunst": In "Deutschstunde" (derzeit im Kino) nach dem Roman von Siegfried Lenz spielt er Ludwig Nansen, einen Künstler, der mit Berufsverbot belegt wird und dessen Bilder man beschlagnahmt. Ausgerechnet sein Freund, der Polizist Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen), soll dies überwachen, was zu schweren Differenzen zwischen den beiden führt. Schlüsselfigur ist Jepsens Sohn Siggi (Tom Gronau), der Nansen unterstützte und deshalb in einer Jugendstrafanstalt landete.
"Wiener Zeitung": Der erste Satz in "Deutschstunde" lautet: "Die Freuden der Pflicht".
Tobias Moretti: Dieser Satz muss unter dem Eindruck der Zeit, in der die Geschichte spielt, gelesen werden. Denn "Die Freuden der Pflicht" ist negativ behaftet, als Fremdbestimmung, der man sich willig unterwirft. Das, was diesem jungen Siggi als Kind widerfahren ist, lässt ihm keine Ruhe, er muss es aufarbeiten, er muss es aufschreiben. Und das ist ein symptomatischer Ausgangspunkt der Generation dieser Zeit. Diese Nachkriegsgeneration musste mit ihren Erfahrungen irgendwie umgehen, weil sie ihnen im Hals stecken geblieben waren. Man durfte schließlich über ein Jahrzehnt weder denken, reden, handeln oder sich in irgendeiner Form eigene Lebensziele setzen.
Inwiefern war es ein Thema, diese Geschichte so aktuell wie möglich erscheinen zu lassen? Wie legt man das als Schauspieler an, dass der Konnex zum Heute augenfällig wird?
Das erzählt die Geschichte an sich, da muss man nichts anlegen. Eine Figur ist niemals antiquiert, nur weil sie in einem historischen oder zeitgeschichtlichen Stück vorkommt. Eine Figur kann ich immer nur im Hier und Jetzt interpretieren, sie findet immer jetzt und heute statt. So, wie ein Dichter immer sein Umfeld beschreibt. Mit dem "Kaufmann von Venedig" hat Shakespeare auch nicht Venedig gemeint, sondern London. So wie auch Siegfried Lenz in "Deutschstunde" zwar den Maler Emil Nolde als Vorbild für den fiktiven Charakter Max Nansen benutzt, aber es war nicht Nolde, der da entstand, sondern eine völlig eigene Schöpfung. Nolde blieb im Gedächtnis haften, aber Lenz hätte genauso gut Pechstein oder Ernst Ludwig Kirchner als Vorbilder nennen können, um von diesem Abgrund zu erzählen, der zum Thema des Buches geworden ist: Wenn man so einem künstlerisch Besessenen die künstlerische Existenz nimmt, nimmt man ihm das Leben.
Lenz konnte damals nicht wissen, was wir heute über Nolde wissen, nämlich dass er eigentlich ein glühender Verehrer der Nazis war.