Hollywood ist, was es ist: der komplette Betrug, die reinste Vorspiegelung, oder, freundlicher formuliert: die perfekte Illusion. Das fängt an bei den Stars, die man anbetet. Zum ganzheitlichen Star-Konzept gehört nämlich auch: ein wohlklingender Name. Bevor also aus dem adretten Roy Fitzgerald, einem homosexuellen Jungspund aus dem Städtchen Winnetka, Illinois, der strahlende Hollywood-Star Rock Hudson werden sollte, galt es einige Hürden zu nehmen.
Punkt 1: Verabrede dich am besten mit einem ebenfalls schwulen und noch dazu (in den USA der 1940er Jahre!) farbigen Drehbuchautor zum Tête-a-tête an der Tankstelle, die neben Sprit auch "spezielle" Services anbietet, und erfahre die reine Leidenschaft und Lust.
Punkt 2: Versuche, deine Schüchternheit abzulegen, um bei Screen Tests zu punkten. Irgendwas können sollte man nämlich schon. Und sei es bloß, schön und vital auszusehen.
Punkt 3: Sei schwul, aber lass es niemanden merken, außer deinen Agenten.
So sitzt Roy Fitzgerald also eines Tages im Büro seines künftigen Agenten, der "gleich gemerkt hat, dass du ein Schwuler bist" und ihm sagt: "Lass das Nägelkauen. Nimm zu, indem du trainierst. Und bräune dich, so oft es geht. Ach ja: Roy Fitzgerald, das ist kein Star. Wie wäre es mit . . . Rock. Rock Hudson." Danach folgt für Roy noch das Pflichtprogramm - eine Fellatio bei seinem Agenten, denn: "Das ist mein Ding. Da musst du durch. Oder du kannst gleich wieder gehen. Wenn du aber mitmachst, werde ich dir zeigen, wie keiner merkt, dass du eine Schwuchtel bist."
Willkommen in Hollywood
Roy Fitzgerald ist nur eine der Figuren, die in der siebenteiligen Netflix-Miniserie "Hollywood" (ab 1. Mai) zu Ruhm und Ehre gelangen: Serien-Macher Ryan Murphy und Ian Brennan, die bereits mit "Glee", "Scream Queens" und "The Politician" Erfolg hatten, stellen einen ganzen Reigen an Personen vor, die hier nach dem Krieg in den späten 1940er Jahren versuchen, Hollywood zu erobern. Die meisten Karrieren laufen über das Bett: Egal, ob es die reiche Gattin eines Studiobosses ist, die sich mit ihrem jungen Tankwart vergnügt, der daheim eine mit Zwillingen schwangere Frau sitzen hat, und die ihm hernach ein Vorsprechen für diverse Rollen verschafft; oder die hoffnungsvolle schwarze Schauspielerin, der ihre Agentin sagt: "Diese Rolle kriegst du nicht, die ist nur für Weiße." Oder Hollywoods erster asiatischer Star Anna May Wong, die an Hollywood zerbrach und schwer alkoholsüchtig wurde: "Hollywood" zeigt in beeindruckender Dichte all die Fallstricke einer eitlen, von sich überzeugten Maschinerie aus (damals schon) alten, weißen Männern, die Sex, Lust, Begierde hinter den Kulissen dafür benutzten, vor der Kamera die Schein- und Irrlichter unserer modernen Zeit zu entwerfen: Die Traumlandschaften, die Dreamlands, die uns süchtig nach mehr machen. "Dreamland", das ist nicht umsonst das Codewort, um bei besagter Tankstelle nicht nur eine Vollbetankung zu erhalten, sondern auch die speziellen Services der jungen Männer zu erlangen, die allesamt selbst auf eine Karriere in Tinseltown hoffen, aber anschaffen gehen, um sich finanziell über Wasser zu halten.
"Hollywood", die Serie, sie fühlt sich an wie ein opulent bebildertes Substrat der Traumfabrik, die getrieben ist von selbstsüchtigen Männern und der Gier nach Macht und Geld. Es ist kein Zufall, dass gerade hier, in der Stadt der Illusionen, die #MeToo-Bewegung ihre Genese hat, denn nirgendwo ist sexuelle Ausbeutung mit größerer Fantasie und Machtdemonstration ausgeübt worden.
Hollywood ist daher auch die Stadt der großen Enttäuschungen, denn so viele, die hier erblühen wollten, sind am Wegesrand vertrocknet, und so viele, die es "geschafft" hatten, sind ins Bodenlose gestürzt. Wie auch die junge Schauspielerin Peg Entwistle, die sich 1932 im Alter von 24 Jahren vom Buchstaben H des legendären Hollywood-Schriftzuges gestürzt hat, der damals noch Hollywoodland hieß. Dem voran ging eine enttäuschend verlaufene Karriere, die ihr immerhin im eigenen Tod den Ruhm einbrachte, den sie stets erträumt hatte.
Diese Peg Entwistle ist der rote Faden der Serie: Das Drehbuch des aufstrebenden schwarzen Autors über Entwistles Schicksal soll schließlich verfilmt werden, aber der Weg dorthin ist weit und steinig. Vielleicht gerade deshalb, weil dieses Script davon erzählt, was Hollywood auch ist: Eine Maschinerie der Ausbeutung liegt ihm zugrunde, an deren Ende Verderben und Tod stehen. Wird man in Hollywood aber über die eigenen Schattenseiten berichten, sich selbst an den Pranger stellen? Die Antwort ist ebenso simpel wie logisch: Wenn der Film genug Geld macht, wieso nicht?