Zu Beginn war es ein nicht einordenbares, seltsames Gefühl. Was irritiert an dieser Szene bloß so? Es fahren eigentlich nur ganz gewöhnliche Menschen mit der U-Bahn, es herrscht Enge und Gedränge, jemand verschüttet seinen Kaffee. Es waren die fehlenden Masken. Es waren Gesichter in den öffentlichen Verkehrsmitteln, es waren Küsse auf überfüllten Tanzflächen. Das war es, was Serien und Filme von der Corona-Realität stets unterschied. Doch dies ist nun nicht mehr so: Das Virus hat die Serienwelt infiziert. Und eigentlich will man es doch gar nicht sehen.
Da stehen sie nun, am Flachdach des Spitals, die Ärzte mit Tränen in den Augen. In der Hand ihre Smartphones und auf deren Displays die digitalen animierten Abbilder brennender Kerzen. Jeder sagt die Namen der Coronatoten an diesem Tag auf. Einer nach dem Anderen. Da die Kerzen nicht tropfen, darf die ganze Aufmerksamkeit auf den Pathos in der Pandemie gelenkt werden. Quer durch alle Altersgruppen, egal welches Geschlecht oder welche Herkunft, Hautfarbe oder Beruf - gestorben in der Intensivstation. Der US-Sender ABC ist einer der ersten, dessen Serien nun über den Atlantik auch in der deutschen Synchronfassung das Thema Corona in den Hauptabend bringen. "The Good Doctor", "Greys Anatomy", "Station 19" und viele andere Serienhighlights mehr, haben sich nun mit diesem Inhalt herumzuschlagen. Es war bei den Dreharbeiten ebenso schon Thema, wie nun in den einzelnen Episoden.

Das erste Fazit: Es ist schrecklich. Nicht, dass die Serien auf einmal wirklich schlechter sind als noch vor einem Jahr. Nicht, dass ein Flugzeugabsturz auf einem überfüllten Highway nicht schon genug Stress bedeutet hätte, nein, das sind neue Dimensionen. Kein Blut, keine heraushängenden Organe, nicht einmal ein paar seltsam abstehende Extremitäten. Nein, nur Masken, Beatmungsgeräte und Dauerstress. Als Zuseher hat man anfänglich kein Mitleid. Mit niemandem. Weder die gestressten Pfleger, noch die hilflosen Ärzte mit noch platteren Durchhalteparolen als sonst. Immerhin darf man im Spital immer noch küssen, wenn auch nur nach Testung und nach getaner Arbeit.
Renaissance des Unglaublichen
Die neuen Serien unterhalten nicht. Sie machen schlechte Laune. Sie verstören und bringen die Anfänge der Pandemie wieder zurück. Und es ist noch viel zu früh, um das mitansehen zu wollen. Leichenberge, Überforderung, Leugnung, Unwissenheit und mit den Erkenntnissen der Zeit natürlich auch falsche Entscheidungen machen aus einer Vorabendunterhaltungssendung auf einmal eine Reality-Doku mit bekannten Darstellern. Natürlich sind die Ereignisse rund um das Virus wert, festgehalten zu werden und vermutlich wird es in 10 Jahren Abhandlungen an Universitäten zur Darstellung von Corona in US-Serien geben, aber jetzt will man es nicht sehen.
Die Dauer der Pandemie zeigt auf, wie lange Vorlaufzeiten die Serien haben. Wie viel man erst in Drehbücher und Handlungsstränge einarbeiten muss und wie lange es dauert, bis eine fertige Serie dann wirklich ausgestrahlt wird. Und es zeigt auch, wie schwer es ist, abseits von den zeitlosen Themen wie Liebe, Tod, Freude, Sex, Freundschaft und Verrat, aktuelles Zeitgeschehen auf den Fernseher zu bringen. Während man in der Realität bereits die vierte Welle erlebt und immer noch hofft, dass bald alles so normal wie möglich sein wird, fährt im Serienalltag die erste Welle gerade erst hoch. Noch einmal das Unmögliche vor Augen und noch einmal genauso klug wie vor einem Jahr darauf zu reagieren. Wer hofft, dass die Serien Lösungen anbieten oder Hoffnung oder irgendwas Neues, der erlebt ein Déjà-vu nach dem anderen. Und nein, es sind keine guten Erinnerungen. Nicht, dass Serien immer nur stumpfsinnig unterhalten sollten, sicher nicht. Aber es war wohl noch nie so ein falscher Zeitpunkt für ein Thema wie für Corona gerade jetzt. Die Zuseher sind es leid. Im echten Leben, wie auch und erst recht im fiktionalen. Bald schon werden wir alle einen Serienhelden kennen, der an Corona verstorben ist. Man könnte einwerfen, dass dies nun endlich einen realistischeren Serientod bedeutet, als es bislang häufig der Fall war, aber auch das macht es nicht besser. Was hätte Dr. House wohl vermutet zu Beginn? Eine einfache Lungenentzündung? Lupus vulgaris oder gar einen Simulanten? Immerhin dies bleibt den Zusehern erspart. Man könnte immerhin einwerfen, dass man einen guten Einblick in den Wahnsinn einer Corona-Station bekommt. Ja, das stimmt. Aber dafür ist es leider schon fast zu spät - also hoffentlich. Nichtsdestotrotz sei festgehalten, dass das Krankenhaus- und Pflegepersonal immerhin mehr Aufmerksamkeit in Spitalsserien bekommt als davor. Ob sich dies in mehr Anerkennung, besseren Arbeitsbedingungen und mehr Geld im realen Leben niederschlagen wird? Man darf hoffen. Aber wohl eher nicht.
Abseits von Spitalsserien, sind natürlich alle anderen Produktionen mit Einsatzkräften nun im Corona-Modus. Masken und Stress bei Polizei und Feuerwehr zumindest in den USA. Auch einige Animationsserien haben das Virus als Leitmotiv. So etwa die bekannte Serie "South Park". Mit einem Mythos muss auch noch aufgeräumt werden, die Simpsons haben diesmal Covid nicht vorhergesagt. Dies wurde nämlich behauptet. Die 1993 ausgestrahlte 21. Episode der vierten Staffel mit dem Titel "Marge in Chains" hatte eine Krankheit mit dem Namen "Osaka Flu" zum Inhalt, mehr aber auch nicht.
Bevor nun aber der große Frust ausbricht, es gibt auch etwas Positives zu vermelden: Man muss nicht aufhören, die Spitalsserien anzusehen. Es scheint nämlich in den Drehbüchern ein eingebauter Gleichklang erkennbar. Ab den dritten Episoden rückt Corona in den Hintergrund. Ja, die Masken bleiben, der Stress und die Ungewissheit, aber es gibt auch wieder andere Notfälle, andere Plots und neue (Liebes-)Katastrophen. Der Ausflug in die bedrückende Realität war ein kurzer, ein heftiger und einer für die Geschichtsbücher. Am Ende steht die Hoffnung, dass belangloses Unterhaltungsfernsehen doch nicht zu realistisch sein darf. Denn wenn alle Zuseher mit einer Krankheit konfrontiert sind und ein Jahr Pandemie miterlebt haben, dann bedeutet das nicht, dass man das in der weltweiten Unterhaltungsindustrie abbilden muss und sollte. Da ist eine gewisse Verdrängung historischer Tatsachen dann doch das, was alle wollen. Es ist nämlich schon in der Realität zu bedrückend und schwer erträglich.