Es ist ein Versuch, die komplexe Finanzwelt begreiflich zu machen, oder auch: Sie in ihrer ganzen Absurdität abzubilden; beides gelingt Carmen Losmann in ihrer Doku "Oeconomia" (derzeit im Kino), in der sie verschiedene Banker, Chefökonomen und Finanzexperten mit der vermeintlich einfachen Frage konfrontiert, woher das ganze Geld auf der Welt eigentlich kommt.

"Wiener Zeitung": Woher rührt Ihr persönliches Interesse für eine derartig komplexe Materie?

Carmen Losmann: Insgesamt versuche ich in meinem Filmen, zu einem kapitalismuskritischen Diskurs beizutragen. Ich bin der Auffassung, dass unser Leben durchdrungen ist von der Ideologie des modernen Kapitalismus - gleichzeitig ist die Frage nach der Funktionsweise des Kapitalismus seltsam unterrepräsentiert im Film. Und ich habe den Eindruck, dass wir als Gesellschaft sehr wenig Ahnung haben, wie Kapitalismus eigentlich funktioniert, viele haben aktuell eher ein diffuses Gefühl, dass damit irgendetwas nicht ganz rund zu laufen scheint. Ich selber kann nur sagen, dass ich gerne analysiere und begreife, was mich umgibt und durch mich hindurchwirkt. Und in "Oeconomia" war mein Ziel in erster Linie, dass das Publikum meinen Fragen und Denkprozessen folgen kann. Insofern ist er als eine Art Lehrfilm gedacht. In meinen Augen ist das Begreifen von den uns umgebenden Strukturen ein erster Schritt, um sich bewusst für oder gegen etwas entscheiden zu können und gegebenenfalls Alternativen einschlagen zu können.

Carmen Losmann. - © polyfilm
Carmen Losmann. - © polyfilm

Die Ahnungslosigkeit Ihrer Interviewpartner über die Frage, wo all unser Geld herkommt, spricht Bände. Woher kommt es also?

Das wird im Film eigentlich ziemlich klar beantwortet: Der Geschäftsführer der Gemeinschaftsbank erklärt anhand seines Computerbildschirms, wie unser modernes Geld produziert wird - nämlich per Kreditvergabe. Dementsprechend besteht alles Geld auf unseren Konten aus Schulden. Ich sehe es auch nicht so, dass alle meine Gesprächspartner keine Ahnung haben. Beispielsweise der Chefvolkswirt der EZB, er weiß genau, wie Geld erzeugt wird - gleichzeitig ist er sich auch darüber bewusst, wie wenig die meisten Leute über diese Zusammenhänge Bescheid wissen, und versucht einen Weg zu finden, das möglichst einfach zu erklären.

Welches System wäre eine Alternative zum kapitalistischen Weltbild? Haben Sie sich damit auseinandergesetzt?

Wieso Weltbild? Es geht ja ganz handfest um eine alternative Wirtschaftsweise, die uns als Bevölkerung weltweit mit Gütern und Dienstleistungen versorgt, ohne die immensen ökologischen und sozialen Schäden anzurichten, die der Kapitalismus hinterlässt. Und dazu gibt es jede Menge Ideen, vieles ist auch innerhalb des Bestehenden umsetzbar. Ein erster Schritt könnte sein, die Kreditvergaberegeln zu ändern: Wieso gelten nur Vorhaben als kreditwürdig, die Profite versprechen, und nicht Projekte, die nach ökologischen oder sozialen Kriterien sinnvoll für uns als Gesellschaft sind? Auf lange Sicht gesehen brauchen wir eine Transformation unseres Wirtschaftssystems, das nicht ausschließlich die Ideologie des Profits ins Zentrum aller wirtschaftlichen Aktivitäten stellt.

Im Film heißt es: Ohne Schulden kein Wachstum. Wie lange haben Sie gebraucht, dieses Faszinosum zu verstehen? Und haben Sie den Eindruck, dass die meisten Ihrer Interviewpartner die Materie nicht verstehen?

Ich habe viele Vorträge und Bücher von Leuten studiert, die dieses Feld intensiv und lange beforschen. Was meine Interviewpartner angeht: Wenn während des Studiums der BWL oder VWL zahlreiche Modelle und Theorien gelehrt werden, die die ökonomische Wirklichkeit nur unzureichend beschreiben, ist es auch schwierig, den Zusammenhang zwischen Wachstum und Schulden zu erkennen. Kurzum: Es fehlt an einer universitären Theoriebildung, die die Mechanismen der Selbstvermehrung des Kapitals erklärt, und somit nehmen wir uns als Gesellschaft die Fähigkeit, über den Sinn dieser Selbstvermehrung auch nur nachdenken zu können.

Warum muss die Wirtschaft eigentlich immer und immer wachsen? Wäre ein Halten des Ist-Zustandes nicht auch gut?

Wenn wir nicht weiter wachsen und Profite generiert werden, kollabieren die Verschuldungsketten unserer Wirtschaft. Unternehmen, die aufhören gewinnträchtig zu arbeiten, also mehr einzunehmen, als sie ausgegeben haben, gehen insolvent, Kredite müssen abgeschrieben werden, dadurch verschwindet Geld aus unserem "Wirtschaftskreislauf", es kommt zum deflationären Schock und es folgt eine tiefe wirtschaftliche Rezession. Das ist ja meiner Erkenntnis nach das Problem an der jetzigen Architektur unseres Geld- und Wirtschaftssystems: Anhalten geht nicht. Wie bei einem Flugzeug: Wenn es in der Luft anhält, stürzt es ab. Wer es ausführlicher wissen will, dem empfehle ich das Buch oder den Vortrag von Professor Mathias Binswanger: "Der Wachstumszwang".

Ist das System des Kapitalismus für Sie gescheitert, oder gibt es Aspekte darin, die Vorteile für alle beinhalten?

Der Kapitalismus ist ja nicht gescheitert, er läuft ja nach wie vor, nur dass für sein Funktionieren immer weiter neue profitable Geschäftsfelder in Betrieb genommen werden müssen, damit die Kapitalvermehrung nicht ins Stocken gerät. Das können wir ja gut bemerken, etwa an der Privatisierung des Gesundheitswesens oder des Rentensystems, die in den letzten Jahrzehnten betrieben wurde, jetzt sind die Autobahnen dran, zumindest in Deutschland. Und ob diese systemnotwendige permanent weiterlaufende Privatisierung dem Wohle der Mehrheit der Menschen dient, wage ich zu bezweifeln.