Wenn ein Film damit beginnt, dass eine Familie im Auto dem Urlaub entgegenstrebt, dann ahnen geeichte Kinogänger spätestens seit Michael Hanekes Horrordrama "Funny Games": Es könnte großes Unheil bevorstehen. Das gilt jetzt in aller Konsequenz für "Old", den neuen Film von Grusel-Großmeister M. Night Shyamalan ("The Sixth Sense").

Die Kamera setzt sich in "Old" erst einmal in einen Bus zu den Eheleuten Guy (Gael Garcia Bernal) und Prisca (Vicky Krieps), die mit Söhnchen Trent, 6, und Tochter Maddox, 11, einen Tropen-Traumurlaub gebucht haben. Bei der Ankunft im Fünf-Sterne-Resort werden sie behandelt wie Könige. Der Hoteldirektor meint es gut mit ihnen. Er empfiehlt ihnen einen exklusiven Ausflug zu einem unwirklich schönen und völlig einsamen Strand. Und dort fängt die Katastrophe an.

Dass sie die Einsamkeit mit ein paar anderen Reisenden teilen müssen, können Guy und Prisca noch verschmerzen. Doch bald dämmert ihnen, dass der Traumstrand ein Hort schlimmster Albträume ist. Erst stößt der kleine Trent beim Schwimmen an die Leiche einer jungen Frau. Dann beginnt er in Windeseile zu altern: Ein Hotelgast, der ihn nicht kennt, schätzt den Sechsjährigen auf elf. Auch Trents Schwester Maddox wird wie im Zeitraffer vom Kind zur jungen Frau. Die Erwachsenen bleiben von dem unheimlichen Prozess nicht verschont: "In einer halben Stunde vergeht ein Jahr. Wir altern hier um 50 Jahre pro Tag."

Typisch M. Night Shyamalan, könnte man zu dieser Versuchsanordnung sagen. Der Liebhaber übersinnlicher Filmgeschichten hat in "Old" wieder einmal ein Thema gefunden, bei dem völlig absurde Geschehnisse für ein paar Menschen zur grausamen Realität werden. Was ist Albtraum, was ist Wirklichkeit? Man könnte den Film als surreales oder als philosophisches Drama anlegen. Auch das Horror-Genre wäre nicht verkehrt. Doch Regisseur Shyamalan hat sich dazu entschlossen, das düstere Märchen (als Vorlage dient die Graphic Novel "Sandburg" von Pierre Oscar Levy & Frederik Peeters) wie einen Tatsachenbericht zu schildern.

Ein Baby in nur einer Stunde

Die Reisenden setzen alles daran, zu entkommen? Der Film zeigt die vergeblichen Fluchtversuche aus dieser paradiesischen Hölle, die wie von Zauberhand abgesperrt zu sein scheint. Eine kurze Sex-Affäre führt zu einer Schwangerschaft? Das Baby kommt eine knappe Stunde später zur Welt. Doch es überlebt die Geburt nicht. Überhaupt wird viel gestorben in "Old". Sei es mit Gewalt, sei es aus natürlichen Gründen, wegen des raschen Alterns.

All das ergibt einen dramatischen und streckenweise sehenswerten Film, in dem das Abenteuer niemals Pause macht. Die Naturaufnahmen (Kamera: Mike Gioulakis) sind atemraubend; gedreht wurde in der Dominikanischen Republik.

Doch all das kann nicht über das große Manko von "Old" hinwegtäuschen: Die Dialoge sind oberflächlich und flach. Darunter leiden die Darsteller. Die Hauptrollen sind ja mit dem mexikanischen Topstar Gael Garcia Bernal ("Die Reise des jungen Ché") und der Luxemburgerin Vicky Krieps (ihr Spektrum reicht von Marie Kreutzers "Was hat uns bloß so ruiniert" bis zu Paul Thomas Andersons "Der seidene Faden") ungemein interessant besetzt. Wie gern würde man ihren in der Zeitmaschine gefangenen Figuren bei Gesprächen über die Endlichkeit des Seins oder über das Wesen der Zeit zuhören! Doch solche Themen fehlen im Drehbuch. Garcia Bernal und Krieps (und die anderen Schauspieler) haben über weite Strecken nichts anderes zu tun, als mit schreckgeweiteten Augen ihre Erschütterung über die verzweifelte Lage kundzutun.

"Wie kommen wir da wieder raus?" ist die zentrale Frage der Menschen am Strand - und "Wie kommt der Film da wieder raus?" wird zur zentralen Frage des Publikums: Wie so oft, wenn ein kunstvoll-absurdes Geschichten-Gebäude errichtet wird, ist es schwer, ein plausibles Finale zu finden.

M. Night Shyamalan hat sich für einen Plot Twist entschieden - er gibt der Story in den letzten Minuten eine Wendung, die wohl kaum ein Betrachter vorausgesehen hat. Man kann diesen Einfall akzeptieren, aber sonderlich originell wirkt er nicht. Was den Gesamteindruck verstärkt: "Old" bietet zwar einen spannenden Plot, tolle Bilder und viele gute Ansätze. Doch zu den Hauptwerken des Regisseurs zählt dieser Film nicht.