Auch Helden dürfen Angst haben. Das hat man sich im Blockbuster-Kino bislang jedoch kaum zuzugeben getraut. "The Batman" macht hier den Anfang: Kurz bevor Batman (Robert Pattinson) in einer regnerischen Nacht in seiner Heimatstadt Gotham City vom Dach eines Wolkenkratzers hüpft, weiten sich seine Augen schreckverzerrt; er ist schließlich kein Spiderman, der übernatürliche Kräfte besitzt, und kein Superman, der fliegen kann. Hinter der Fledermausmaske steckt Bruce Wayne, seit dem Tod der Eltern schwer traumatisierte Vollwaise auf Verbrecherjagd, um dieses schreckliche Gefühl der Verlorenheit irgendwie zu kompensieren. All das schießt Batman in diesem Augenblick wohl durch den Kopf, aber er besiegt die Angst und segelt in seinem Wingsuit zu Boden.
"The Batman", geschrieben und inszeniert von Matt Reeves ("Cloverfield"), will die Geschichte der von Bob Kane 1938 erfundenen Comicfigur neu schreiben: Nach der ulkigen TV-Serie aus den 60er Jahren, Tim Burtons grandiosen Gothic-Meisterwerken aus den 1990ern und Christopher Nolans düsterer Trilogie, die 2012 endete, legt Reeves den Reboot nun noch eine Etage dunkler an: Ein Film noir, der fast ausschließlich bei Nacht spielt; Bruce Wayne ist hier das Tageslicht gar nicht mehr gewöhnt, sodass er untertags nur mit Sonnenbrille unterwegs ist.
Stadt der Korruption
Aber die Stimmung in diesem Gotham City ist ohnehin alles andere als sonnig: Der Bürgermeister wird ermordet, und kurz vor der Neuwahl scheint ein Serienkiller sein Unwesen zu treiben: Der Riddler (Paul Dano) beginnt mit der Ermordung aller Politiker, Staatsanwälte und Cops, die er für korrupt hält; er ist Batman und Commissioner Gordon (Jeffrey Wright) immer einen Schritt voraus und hält sie mit seinen Rätseln auf Trab. Indes kocht der Clubbesitzer Oswald Cobblepot (unkenntlich: Colin Farrell), der später zum Pinguin werden wird, sein eigenes Süppchen aus Drogenhandel und Korruption: In seinem Club verkehren die Größen der Stadt und machen dort ihre Geschäfte mit dem Mafiaboss Falcone (John Turturro). Die Kellnerin Selina Kyle (Zoe Kravitz), die bald im Katzenkostüm als Catwoman zugange sein wird, befindet sich auf einer ganz eigenen Killer-Mission in Hinblick auf Falcone. Als die Katze und die Fledermaus einander das erste Mal beschnuppern, da sind sie noch Feinde, aber bald - und das ist einer der unpassenden Tiefpunkte des Films - haben sie nicht mehr nur beruflich miteinander zu tun.
"The Batman" (die Figur hatte in ihren Anfangstagen einen bestimmten Artikel vorangestellt) will im Dauerregen Gothams zwischen Retro-Optik, Gothic Style und Grunge-Atmosphäre das Superhelden-Genre neu definieren. Bruce Wayne als gebrochener Held mit Hang zu psychologisch motivierten Taten gab es schon in den früheren Filmen, aber hier treibt es Reeves auf die Spitze: In erster Linie ist dieser Film ein Psychothriller, in dem man einem Fledermaus-Detektiv beim Ermitteln zusieht.
Batman ist kunstsinnig
Das passiert freilich nicht auf "Tatort"-Niveau, sondern schon in der Panier eines actiongeladenen Spektakels, jedoch entrücken der wummernde Sound von Michael Giacchino und die fiebrige Kamera von Greig Fraser ("Dune") das Stück ein wenig aus der Mainstream-Ecke; wie schon bei dem kunstsinnigen "Joker" (2019) ist auch "The Batman" stilistisch mehr im Arthaus-Kino daheim, auch, wenn am Ende der Tradition des Superhelden-Genres gefrönt wird und irgendwie alles sprichwörtlich den Bach runtergeht. Eine zur Machart gut passende Klammer hält Reeves Film mit dem Nirvana-Song "Something in the Way" zusammen, ein Song, der ziemlich gut die geschundene Psyche der Hauptfigur reflektiert; überhaupt dann, wenn Bruce Wayne herausfindet, dass er möglicherweise in völlig falschen Idealen aufgewachsen ist und sich der korrupte Sumpf Gothams bis in seine eigene Familie hineinzieht. Auch arbeitet Reeves detailliert heraus, wie ähnlich sich Batman und die von ihm gejagten Psychopathen eigentlich sind. Da liegt die Frage nahe: Wer war zuerst da, der Held oder der Bösewicht? Und bedingen die beiden einander sogar?
Fragen, die "The Batman" nicht löst, sondern Raum für Spekulation über mögliche Sequels lässt, auch mit dem Cameo-Auftritt einer weiteren üblen Figur aus dem DC-Universum kurz vor dem Ende. All das klingt nach einem verführerisch guten Urteil, allein: Reeves legt einen Film mit fast drei Stunden Laufzeit vor, der in seinem Reichtum leicht zwei Filme gefüllt hätte, zugleich aber erschreckend viele Leerstellen und Redundanzen aufweist, über die sich der Regisseur dramaturgisch nicht hinwegretten kann.
Pattinson kann übrigens nichts dafür: Sein Batman ist der bis dato reflektierteste, grüblerischste und menschlichste Bruce Wayne. Er stellt sich und der Welt die unangenehme Frage, wem man denn noch vertrauen kann, wenn selbst die Guten nicht mehr gut sind. "The Batman" als brandaktueller Zeitkommentar - es ist zum Fürchten.