Politisch brisant, mit bissigem Humor und viel Schmäh erweckt Regisseur Marcus H. Rosenmüller gemeinsam mit Storyboard-Artist Santiago Lopez den Deixschen Kosmos auf der Leinwand zum Leben. Der österreichische Animationserstling "Rotzbub" (ab Freitag im Kino) ist inspiriert von der Biografie des Kult-Cartoonisten Manfred Deix. Noch zu seinen Lebzeiten begann die Arbeit am voll animierten 3D-Biopic und seiner überzeugenden Coming-of-Age-Geschichte, einer Liebeserklärung ans Rebellentum. Der vor fünf Jahren verstorbene Karikaturist konnte noch das Drehbuch abnehmen. Im Abspann wird er als "Art Director" geführt. Die "Wiener Zeitung" traf den 48-jährigen oberbayerischen Filmemacher Rosenmüller, der mit seinem Debüt "Wer früher stirbt, ist länger tot" Furore machte, zum Gespräch.
"Wiener Zeitung": Herr Rosenmüller, wieso wollten Sie sich ins Neuland Animationsfilm begeben?
Marcus H. Rosenmüller: Ich finde, das Genre ist eine wahnsinnig interessante Kunstform. Gleichzeitig ist es aufregend, so ganz ohne Schauspieler zu arbeiten. Denn hier bestimmst du als Regisseur alles selber: Welche Socken jemand trägt, bis hin, wie der Ort konkret aussieht, in dem die Geschichte spielt. Freilich mussten wir erst einmal aus dem mehrere hundert Figuren umfassenden Deix-Kosmos jene auswählen, die am besten in unseren Film passten.

Was war bei dem Projekt die größte Überraschung?
Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Figuren tatsächlich so lebendig und authentisch werden, dass sie für mich fast wie echte Menschen sind. Der Vater, etwa, hat mich an den bayerischen Schauspieler Karl Obermayer erinnert aus der Kultserie "Monaco Franze" von Helmut Dietl.
Welchen Bezug hatten Sie selbst zu den Karikaturen und zur Handschrift von Manfred Deix?
Ich habe Deix leider nicht mehr persönlich kennengelernt. Der Münchner Produzent Ernst Geyer hat ihn noch erlebt und zusammen mit dem österreichischen Produzenten Josef Aichholzer besucht, um ihm die Filmidee zu unterbreiten. Ich kannte seine Karikaturen im "Stern". Intensiver habe ich mich dann für das Projekt mit seiner Weltsicht beschäftigt. Ich mochte den Humor und die gesellschaftliche Thematik. Aufarbeitung des Nationalsozialismus, das waren die großen Themen und die sind heute noch aktuell. Der Inhalt unserer Coming-of-Age-Geschichte ist der, den Manfred Deix mit seinen Karikaturen immer bekämpft hat: die alten Nazis, die noch in den Dörfern lebten, die Skandale der Kirche und die Bigotterie der Gesellschaft. Gegenstand seiner Satire, seiner Kritik, war mehr als alles andere stets die Heuchelei und Scheinheiligkeit.
Eine Besonderheit sind die Stimmen. Viele renommierte österreichische Schauspieler tauchen auf dieser exzellenten Besetzungsliste auf. Wie erfolgte dieses Casting?
Dabei habe ich mich ganz auf meinen Produzenten Josef Aichholzer verlassen, der das hervorragend machte. Er hat die Creme de la Creme der österreichischen Schauspielriege verpflichtet. Beim Einsprechen geht es um Nuancen. Das ist nicht ganz einfach, denn den Hauptteil mussten die Schauspieler schon sprechen, bevor alles visualisiert war.
Sie sind auf dem Land aufgewachsen wie Manfred Deix. Hat ihnen das geholfen, diese Atmosphäre besser zu erfassen?
Etwas schon, aber Hausham, mit seiner Bergbaugeschichte, wo ich herkomme, ähnelt dem Dorf aus unserem Film nicht sehr. Ich habe vor allem diese engstirnige Nachkriegsstimmung nicht direkt erlebt, die da beschrieben wird. Ich bin eine andere Generation. Ich musste mich nicht freikämpfen. Das "H." in meinem Namen steht sogar für meinen Heimatort Hausham. Als ich aufgewachsen bin, war ich schon mit Leuten wie Gerhart Polt konfrontiert. Eine gewisse Affinität zum Stoff hatte ich natürlich durch meine schwarze Komödie "Wer früher stirbt, ist länger tot" mit ihrer subversiven Kraft. Generell basiert alles in "Rotzbub" auf der Biografie von Deix. Er war tatsächlich Wirtssohn. Seine Eltern hatten die Wirtschaft "Zur Blauen Weintraube" und er war der Schankbursche, sein Vater hat einen Arm verloren im Krieg und seine spätere Frau Marietta, ist eine Sinti/Roma. Es ist alles authentisch.
Auch klanglich ist diese Liebeserklärung ans Rebellentum ein Genuss, mit einer Prise Jimi Hendrix und einem Hauch Pink Floyd.
Die Musik stammt von Gerd Baumann, den habe ich gern an meiner Seite. Er ist meistens dabei, weil er einfach ein sehr kreativer Kopf ist. Deix selber war ja ein Fan der Beachboys. Er hat sie sogar mal persönlich getroffen. Aber deren Songs konnten wir uns nicht leisten. Ein Score mit Originalmusik ist für einen Kinofilm meist fast nicht erschwinglich. Und da hat der Gerd mir wieder wunderbar geholfen. Er hat selbst diese typische Waldviertler Schrammelmusik im Wirtshaus komponiert.
Welche Rolle spielt Musik für Sie?
Ich bin einfach ein ganz großer Fan von Musik. Manche Filmemacher sagen, sie kann Atmosphäre zerstören. Aber für mich gehört sie unbedingt in meine Filme. Es ist phänomenal, wie damit Stimmungen und Emotionen ausgelöst werden können. Aber es ist natürlich auch eine Gratwanderung, damit man Szenen nicht zukleistert und Meinungen aufoktroyiert.
Wo sehen Sie eine Schnittstelle zwischen bayerischen und österreichischen Humor?
Allein schon der Dialekt verbindet. Aber ich denke, dass sich die Österreicher noch weiter in die Abgründe trauen und vorwagen, wo ich schon etwas Berührungsängste habe und mir sage, na, das mag ich jetzt gar nicht so genau wissen. Da machen die erst das Licht an in den Kellerräumen. Umso tiefer, dass es runter geht, umso heller lassen sie quasi die Taschenlampe leuchten, die wollen es genau wissen. Und sie schaffen es, dass das Derbe manchmal zwar erschreckend ist, aber sogar was Zärtliches dabei sein kann. Sie trauen sich eben, alles zu zeigen.
Woran haben Sie sich mit Ihrem Filmschaffen orientiert?
Der österreichische Film ist ein großes Vorbild für mich gewesen. "Wer früher stirbt, ist länger tot" hätte es so sicher nicht gegeben, wenn ich nicht Paul Harathers Tragikomödie "Indien" oder Harald Sicheritz "Hinterholz 8" gesehen hätte.